Der doppelte Johann Kray

Vorfahrensuche mit überraschendem Ergebnis

Wann interessiert man sich für seine Vorfahren? Meist erst, wenn genügend Zeit dafür existiert, also oft erst im beruflichen Ruhestand. Manchmal ist dazu auch ein Anstoß erforderlich, etwa durch ein altes Dokument oder das Erinnern an Worte der Eltern oder Großeltern. Das kann zu erstaunlichen Erkenntnissen führen, wie der folgende Fall zeigt. Er führt von Deutschland in die Slowakei.

Als Volker Kray, bei Koblenz lebend und inzwischen Ingenieur im Ruhestand, im Nachlass der Eltern alte Familiendokumente entdeckte, kamen ihm die Worte seines Vaters zu seinem 21. Geburtstag in den Sinn. Dieser hatte ihn auf adlige, ungarische Wurzeln der Familie durch einen unehelichen Sohn hingewiesen.

Der doppelte Johann Kray
Dieser Stammbaum befand sich unter den Familiendokumenten.

Was er damals eher als Störung seiner Konzentration auf das Studium betrachtet hatte, sah er nun in ganz anderem Licht. Besonders ein vom Großvater im Jahr 1925 zusammengestellter Stammbaum brachte die Erinnerung zurück. Er zeigte die Vorfahren bis hin zum am 26. März 1796 geborenen Johann Gerlach Kray. Jetzt wollte Volker Kray mehr wissen und begann mit seinen Nachforschungen. Sie führten ihn in Archive, Bibliotheken, Museen und Forschungsinstitute Deutschlands, Österreichs, Ungarns und der Slowakei, er kam auch mit Historikern dieser Länder zusammen. Im Ergebnis konnte er die Geschehnisse um die Geburt des Johann Gerlach Kray als ein Zusammentreffen von Zufällen, Liebe, Geheimnissen und Tragik belegen.

Kein Roman, sondern Realität

Er begann mit den vom Großvater notierten Namen der Vorfahren und konnte die Einträge durch Einsicht in die Kirchenbücher bestätigen. Nun galt es, mehr über Johann Gerlach Kray, der in der Familie über Generationen als uneheliches Kind bezeichnet wurde, herauszufinden. Nach dem Tauf- und Geburtenregister der Johannes-Kirche von Oberfischbach hießen die Eltern Johann Friedrich Kray und Anna Margarethe Fischbach, der Vater war „Schulmeister“. Als Familiengeheimnis galt, dass der leibliche Vater auch Johann Kray hieß, aber aus Ungarn stammte. Solche Gleichheit des Namens gibt es in der Realität nur selten, wohl eher in Romanen. Hier ging es aber um die Realität, um durch Dokumente und Überlieferungen belegtes Material. Es bildete die Grundlage für die Suche nach diesem Kray aus Ungarn.

Ein tiefer Blick in die Geschichte

Volker Kray musste tief in die Geschichte der Region um den Ort Oberfischbach eindringen. Das Material, das er bei seinen mehrere Jahre dauernden Nachforschungen fand, fügte sich nach und nach wie ein Puzzle zu einem Gesamtbild zusammen. Hier das Ergebnis.

Johann Gerlach Krays Mutter, die in Niederndorf geborene Anna Fischbach, hatte am 5. Juli 1793 Johann Friedrich Kray, den Schulmeister des Nachbarortes Oberfischbach geheiratet. Es war eine Ehe aus praktischen Gründen. Anne, bereits 36 Jahre alt, dachte dabei vor allem an die finanzielle Sicherheit als Frau eines Lehrers. Ein Jahr später, am 8. Juni 1794, brachte sie ein Mädchen zur Welt. Die Freude über die Anna Christina genannte Tochter war groß, besonders bei der Mutter. Das Kind erkrankte jedoch und starb am 25. Mai 1795, noch vor dem ersten Geburtstag. Die Mutter war verzweifelt.

Der zweite Johann Kray – Husar, Ungar und adlig

Da begegnete ihr ein junger, sympathischer ungarischer Husar, der in der Armee der Habsburger gegen Frankreich kämpfte. Es ist kaum zu glauben, aber dieser hieß genau wie ihr Ehemann Johann Kray, war aber weitaus höflicher und galanter. Sein Feldlager befand sich nördlich des Flusses Sieg, nicht weit entfernt von Oberfischbach.

Der Husar war der jüngste Sohn des aus Kesmark/Kežmarok stammenden Paul Freiherr Kray von Krajova und Topolya. Er wurde am 16. Juni 1775 geboren, hatte mit 14 Jahren auf eigenen Wunsch ein technisches Studium für das Soldatenleben abgebrochen. Im Frühjahr 1793 kam er zur österreichischen Rheinarmee und damit direkt in das Geschehen des Ersten Koalitionskrieges. Dieser Johann Kray, vom Vater Hanserl genannt, nahm unter Generalmajor Binder von Degenschild (1742-1813) an den Kämpfen um das 1792 von französischen Truppen besetzte Mainz teil. Im November 1793 hatte er bereits den Rang eines Oberleutnants und wurde in das Husaren-Regiment Barcó (Regimentsinhaber Vincent Freiherr v. Barcó, 1718-1797) versetzt.

Kein Happy End

Anna und der Husar Johann Kray müssen sich sehr stark verliebt und bereits für die Zukunft geplant haben, denn Johanns Vater wurde berichtet, dass dieser „ein kleines Engagement hätte, welches ihn zu Heiratsgedanken führt“. Das schrieb Paul Kray seinem Bruder Alexander (1742-1817) am 14. August 1795.

Paul Kray kämpfte nicht weit entfernt von seinem Sohn ebenfalls gegen die Franzosen. Er war sehr stolz auf seinen Johann, der wegen großer Tapferkeit in den Kämpfen gegen die Einheiten des Generals Jean-Baptiste Jourdan (1762-1833) im November 1795 zum Rittmeister befördert wurde. Umso schwerer traf ihn bald darauf die Nachricht, dass sein liebstes Kind am 1. Februar 1796 in einem Feldlager nahe der Sieg an Fleckfieber gestorben war.

Der doppelte Johann Kray
Paul Kray informiert seinen Bruder Alexander über den Tod seines Sohnes Johannes.

Damit brach auch Annas Hoffnung auf eine Zukunft mit dem Husaren, von dem sie inzwischen ein Kind erwartete, zusammen. Das Kind, der Sohn Johann Gerlach, kam knapp zwei Monate später zur Welt, offiziell als Kind des Schulmeisters. Den Namen seines wahren Vaters offenbarte ihm die Mutter erst viel später.

Vorfahren adlig und aus Kesmark

Volker Kray konnte mit seinen Nachforschungen familiäre und historische Dokumente in Zusammenhang bringen und so seine Abstammung von der adligen Kesmarker Kray Familie belegen.

An uneheliche Kinder werden aber nach deutschem Adelsrecht weder Adelstitel (hier: Freiherr) noch Prädikatstitel (hier: von) vererbt. Das stört Volker Kray nicht, denn auch ohne diese Titel hat er jetzt die Gewissheit, ein Nachkomme der Kesmarker Adelsfamilie zu sein.

Viele Materialien über seinen Alturgroßvater Paul Kray fasste er in dem Buch „von Kray. Ein General für Habsburg“ zusammen. Für das 250-seitige Werk bekam er Dankschreiben aus verschiedenen Ländern, unter anderem aus dem Hause Hohenzollern und dem Vatikan. Eine großartige Anerkennung!

Dr. Heinz Schleusener