Welches Bild im Kopf ist normal?
Wie heißt Du? Vielleicht eine banale Frage, doch ihre Antwort hat viele Konsequenzen für den Fragenden, aber auch den Gefragten. Für mich ist sie Anstoß zur Suche nach meiner eigenen Identität.
Sich mit dem Begriff Identität auseinanderzusetzen ist sicherlich nichts Alltägliches. Wer bin ich? Womit identifiziere ich mich? Wofür stehe ich und welche Werte sind für mich wichtig? Fragen, auf die ich nie hundertprozentig antworten kann. In dem Dialog „Symposion“ (circa 380 vor Christus) formulierte Platon: „(…) ein Mensch gilt von Kindesbeinen an bis in sein Alter als der gleiche. Aber obgleich er denselben Namen führt, bleibt er doch niemals in sich selbst gleich, sondern einerseits erneuert er sich immer, andererseits verliert er anderes.“ Identität ist also niemals festgeschrieben; sie ist dynamisch und sie kann sich jederzeit verändern. Und diese Veränderung hängt von verschiedenen, situativen Erfahrungen ab, die jeder für sich und in sich selbst – bewusst oder unbewusst – verarbeitet. Auch bei mir ist das so.
Identität, die über eine Zuschreibung entsteht
Nach der Schulzeit war ein wichtiger Teil meines bisherigen Lebens vorbei und ein neues Kapitel begann. Ich entschloss mich ins Ausland zu ziehen, um zu studieren. Als junges Mädchen reiste ich also allein in die Welt. Dabei traf ich – und treffe auch heute noch – immer wieder auf dieselbe Frage: „Wie heißt Du?“ Ich antworte: „Ľudmila“. Unmittelbar bekomme ich hier den Stempel: „Bist Du eine Russin?“ – „Ähm, nein?“
Mit der Zeit gewöhne ich mich an solche eingefahrenen gesellschaftlichen Bilder. Jeder von uns hat bestimmte Bilder im Kopf und viele davon haben sich nicht durch bewusstes Nachdenken gebildet, sondern wir haben sie von unserer Umgebung als ganz normal übernommen. Es ist wohl oft ein Merkmal von Identität, ähnliche Vorstellungen zu haben, die auch in der eigenen Gemeinschaft oder dem eigenen Volk weit verbreitet sind. So entsteht eine Identität, die einem zugeschrieben wird.
Von der Sprache zur Identität
Im Ausland treffe ich einzigartige Menschen, aus diversen Ländern und mit verschiedenen Hintergründen, Geschichten und schließlich Hautfarben. Unsere Kulturen als Teil der eigenen Identität sind vielleicht unterschiedlich, doch die Sprache, besser gesagt die Fremdsprache, ist das einzige Element, das uns verbindet. Sie öffnet die Tür, nicht nur in die Welt, sondern vor allem in die Herzen unserer Mitmenschen. Sie baut Bilder im Kopf ab, öffnet den Geist und unser Denkvermögen und hilft, unsere Identität neu zu formen.
Die Haltung, nie etwas wirklich zu wissen
Diese situativen Erfahrungen prägen mich und ich bin dankbar dafür, denn ich lerne immer und immer wieder dazu. Und in dem Maße, in dem mein Horizont sich erweitert, wandelt sich auch meine Identität. Ich lerne nicht nur die Kultur vor Ort, sondern erfahre im Austausch mit anderen Menschen auch viel über mich selbst, meinen kulturellen und geschichtlichen Hintergrund. Das hilft mir, mich selbst besser zu verstehen. Durch die Auslandserfahrungen lerne ich viel über Selbstdisziplin und Selbstvertrauen und pflege die Haltung, nie etwas wirklich zu wissen. Immer wieder hinterfrage ich die eigenen Bilder im Kopf, revidiere sie, richte sie neu aus – mit einem freien und offenen Geist und in dem Bewusstsein, dass die Welt uns beeinflusst.
Schließlich fängt jede Beziehung mit der Frage nach dem Namen an. Hinter dem Namen einer Person verbirgt sich bereits ein Teil ihrer Geschichte und auch ein Teil ihrer Identität. Es liegt an uns, die Perspektiven und Sichtweisen zu ergründen, neue Beziehungen aufzubauen und im Austausch mit anderen Menschen uns selbst zu finden. Nun, ich heiße Ľudmila, bin eine Slowakin, eine Frau, mit Brille und Falten, struppigen Haaren und kleinen Füßen, manchmal frech oder ungeduldig, doch auch immer im Wandel.
Ľudmila Glembová