Andreas Metzl gestorben

Zur Erinnerung an Pfarrer i.R. Andreas Metzl

„(…) und wenn Gott es will, so will ich gerne den Schlüssel unter die Fußmatte legen und mich still abrufen lassen.“ Dies ist der letzte Satz aus „Ein Leben aus Gottes Gnade, Erinnerungen“ von Andreas Metzl (1932-2023). Pfarrer Metzl ist vor kurzem im 91. Lebensjahr friedlich von uns gegangen. An das Lebenswerk meines Freundes erinnere ich.

Bereits im Vorwort des Buches seiner Mutter Elise Metzl „Ein Paradies verloren, aber wir leben“ vermerken ihre beiden Söhne, dass der Vertreibung der Familie aus der Heimat nicht die Vertreibung aus der Geschichte folgen dürfe. Und in seinem Buch „Arbeiter in Gottes Weinberg“ beschreibt Metzl Lebensbilder deutscher evangelischer Pfarrer in und aus der Slowakei, die über die Kirchengeschichte hinaus von kulturhistorischer Bedeutung sind.

Die frohe Botschaft: Freude und Nächstenliebe

Beide Erinnerungsbücher sind gegen das Vergessen geschrieben. Sie zeigen, wie Menschen auf ihrem schweren Lebensweg „von wunderbaren Mächten geborgen“ und gestärkt wurden. Und in dem Buch „Versöhnte leben Versöhnung. Frohe Botschaft nicht nur für Vertriebene“, das seine 67 Predigten und Ansprachen von 1966 bis 2011 enthält, verkündet Metzl die frohe Botschaft: Freude und Nächstenliebe für Menschen, die aus der Heimat vertrieben wurden oder in der Heimat leben. Wie sie ihr Schicksal im Zeichen der Vergebung annehmen und verarbeiten, das ist seine Botschaft. Es atmet den Geist der Versöhnung und erinnert an die Oberuferer Spiele: Die Oberuferer hingen mit Leib und Seele an ihrem geistlichen Kulturgut. Sie verpflanzten es in den neuen Lebensraum, in dem sie die lebendig gebliebene Heimat pflegten. Die vom Slowakischen Nationalmuseum-Museum der Kultur der Karpatendeutschen herausgegebene Dokumentation über dieses christliche Kulturgut widmete ich Andreas Metzl zum 85. Geburtstag in Dankbarkeit und Verehrung.

Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung

Richard von Weizsäcker, Präsident der Bundesrepublik Deutschland von 1984 bis 1994, zitierte in seiner Rede gegen das Vergessen und Verdrängen am 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag des Kriegsendes im Deutschen Bundestag die jüdische Weisheit: „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.“ Wir können uns nicht selbst erlösen. Aber wir können uns auf den Weg begeben.

Aus seiner Rede spricht das Herz eines großen Europäers. Von Weizsäcker ringt um Wahrhaftigkeit: Wir dürfen nichts schönreden oder gar ungeschehen machen. Wir haben gerade als Erlebnisgeneration viel Abgründiges erfahren, können und müssen diesen Erfahrungen ins Auge sehen und der jungen Generation weitergeben – ohne geschichtliche und ethische Relativierung dessen, was in der Vergangenheit wirklich geschehen ist. Dadurch kann Vertrauen zwischen Menschen und Völkern geschaffen werden, das den Weg zur Versöhnung öffnet. Jeder kann sich auf den Weg nach Erlösung begeben, indem er sich beim Erinnern um ein Höchstmaß an Wahrhaftigkeit bemüht, das keinen Selbstbetrug und keine Ausflüchte erlaubt.

Darum ringt Andreas Metzl in seinem Lebenswerk, das sich an Deutsche und Slowaken wendet. Er bleibt nahe an einem äußerst wechselvollen Geschehen mit seinen Höhen und Tiefen. Sein Werk schenkt Kraft zur Versöhnung. Das erinnert an die Worte von Dietrich Bonhoeffer, der im Konzentrationslager Flossenbürg von den Nationalsozialisten ermordet wurde: „Man muss sich durch die kleinen Gedanken, die einen ärgern, immer wieder durchfinden zu den großen Gedanken, die einen stärken.“

Versöhnung konkret

Zur Veranschaulichung der vielen Versöhnungsaktivtäten im ökumenischen Geist führe ich zwei Beispiele an: Meine Seminare und Vorlesungen an der Evangelisch Theologischen Fakultät in Preßburg/Bratislava über „Praktische Theologie und Diakonische Heilpädagogik“ (2000-2001) und weitere Gastvorträge bis 2015 ergänzte und vertiefte Metzl mit Vorträgen, Predigten und Buchgeschenken. Und im Rahmen eines „kleinen Karpatendeutschen Tages“ an der Fakultät (mit Gottesdienst, Vorträgen, Schenkung biblischer Bilder) wurde eine Marmorplatte enthüllt, die in slowakischer und deutscher Sprache die Schenkung des Hilfskomitees für die Evangelisch-Lutherischen Slowakeideutschen e.V. dokumentiert. Der deutsche Text lautet: „Gott, ich sinne nach über alle deine Taten und spreche von den Werken deiner Hände. Psalm 143,5. Dieser biblische Bilderzyklus des Künstlers Ľubomir Rapoš wurde in Gemeinschaft des Glaubens gespendet vom Hilfskomitee für die evang.-luth. Slowakeideutschen, Preßburg, September 2010.“ An der Schenkung beteiligte sich Metzl mit einem größeren Betrag.

Pfarrer Metzl lebt in den Herzen vieler Menschen weiter

Die beiden getriebenen Kupfer-Plaketten von Lev Razumovski, die an die Ermordung des polnisch-jüdischen Arztpädagogen Janusz Korczak und seiner 200 Waisenkinder im Warschauer Ghetto im August 1942 erinnern, habe ich bei einer Tagung in Petersburg vom Künstler erworben. Ich schenkte sie der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Krzyzowa/Kreisau (Polen). Razumovski hatte im Zweiten Weltkrieg seine linke Hand verloren. Er gestaltet im Petersburger Atelier mit der rechten Hand Kunstwerke, die für die Gegenwart und Zukunft eine gestaltbildende Bedeutung haben. Seine Gestaltungskunst lädt zum verweilenden und inspirierenden Denken ein.

Wie Andi Metzl diese Kunst versteht, das schrieb er mir am 10. September 2016: „Die nach oben geöffnete Hand symbolisiert für mich das menschliche Leben überhaupt. Wir sind durch Gott von Geburt an – da wir ja nicht von Anfang an selbständig lebensfähig sind – auf Empfangen angelegt und angewiesen. Gott füllt durch unsere Eltern und andere unsere Hände mit Liebe, Gnade und Güte. Wie glücklich ist der Mensch, der dies erfahren darf und deshalb nicht gezwungen wird, die Hand zur Faust zu ballen, weil er nur Hass und Gewalt erfahren hat. Glücklich der Mensch, der diese Haltung des Empfangens sein Leben lang durchhalten kann oder nach einer Durststrecke wieder erlangen kann. Der ist dann auch im Alter zu einem derart liebevollen Blick fähig wie Korczak. Ich hätte mir höchstens ein winzig kleines Lächeln in diesen Augen gewünscht – aber dafür waren wohl seine Erfahrungen zu schwer. Vielleicht ist ihm dieses Lächeln in den letzten Augenblicken seines Lebens geschenkt worden. Der Apostel Paulus hat dieses Leben aus dem Empfangen heraus bis ins Alter bewahrt. Er schreibt an die Korinther (1. Kor. 15,10): ‘Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin.‘ Mir ist dieser Satz mit den Jahren immer wichtiger geworden, und ich bin mir inzwischen ziemlich sicher, dass ich ihn mir als Motto meiner Beerdigung wünsche.“

Abschließender Impuls

Bei unseren gemeinsamen vier Besuchen meines Heimatortes Schwedler/Švedlár hat Pfarrer Metzl die Gottesdienste mitgestaltet. Bei einem anderen Besuch sprach ich ein Grußwort in der Kirche, das ich ihm verdanke. Es handelt sich um einen Psalm in der Nachdichtung von Hanns Dieter Hüsch, Kabarettist, Schriftsteller und  Liedermacher:

„Ich bin vergnügt, erlöst, befreit,

Gott nahm in seine Hände meine Zeit.

Mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,

mein Triumphieren und Verzagen,

das Elend und die Zärtlichkeit.

Was macht, dass ich so fröhlich bin,

in meinem kleinen Reich?

Ich sing und tanze her und hin,

vom Kindsbett bis zur Leich.

Was macht, dass ich so furchtlos bin

an vielen dunklen Tagen?

Es kommt ein Geist in meinen Sinn,

will mich durchs Leben tragen.

Was macht, dass ich so unbeschwert

und mich kein Trübsal hält?

Weil mich mein Gott das Lachen lehrt,

wohl über alle Welt.

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit,

Gott nahm in seine Hände meine Zeit.“

Ferdinand Klein