Berühmte Zipser: Agnes Gertrud Scholtz
Agnes Gertrud Scholtz ist die Tochter von Carl Albert Scholtz und Janka Handl. Sie wurde am 30. Januar 1899 in Matzdorf geboren. In diesem idyllischen Matzdorf, von dem man die Berge der Hohen Tatra im direkten Blickfeld hat, erblickten bereits ihr Vater, ihr Großvater Johann Emil Scholtz und ihr Urgroßvater Carl August Scholtz das Licht der Welt.
Agnes Gertrud zählt zu den ersten Frauen der Zips, die sich in so unterschiedlichen Bereichen wie Kultur und Alpinistik engagierte. Die unter ihrem Rufnamen Gertud bekannte Frau entstammte aus einer wohlhabenden Familie und schaffte es sowohl als Poetin, als auch als Bergsteigerin hohe Anerkennung zu finden.
Der Lebensweg und die Ehen der Agnes Gertrud Scholtz
Von Gertrud Scholtz’ Kindheit und Jugend sind nur wenige Dokumente und Fotos erhalten. Sie hatte eine sehr gute Sprachausbildung und beherrschte neben Deutsch und Ungarisch sehr gut Französisch. Ihre Interessen richteten sich sehr früh auf Literatur und Theater. Das Rezitieren war eine ihrer Stärken, wie sie bei verschiedenen Veranstaltungen beweisen konnte, so etwa bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Kesmark im Jahr 1917.
Am 20. April 1919 heirate sie im Alter von 20 Jahren in Matzdorf den Budapester Ingenieur Eugen/Jenö Kallivoda. Dieser war 15 Jahre älter als sie, wie sie ein Freund der Berge und kam wie sie aus vermögendem Haus. Sein Vater war Direktor der ungarischen Sparkassen-Zentralbank. Mit der Heirat trat er in die Firma seines Schwiegervaters C.A. Scholtz ein, wurde dort Prokurist und Teilhaber. Sein früher Tod am 25. Mai 1928, verursacht durch Spätfolgen einer Verwundung aus dem Ersten Weltkrieg, beendete die Ehe nach neun glücklichen Jahren.
Erst 1941 entschloss sich Gertrud, nochmals zu heiraten. Sie hatte zuvor den 12 Jahre jüngeren Andreas/András Heim kennengelernt, beide liebten die Bergwelt und interessierten sich für Kunst und Kultur. Ihre Ehe wurde am 21. Juni 1941 in Zipser Neudorf/Spišská Nová Ves geschlossen. Als sich 1944 das Kriegsgeschehen näherte, ließen sie fast ihr ganzes Eigentum zurück, um über die Zwischenstation Trentschin/Trenčín nach Ungarn zu fliehen. In Budapest fanden sie ein neues Heim.
Eine neue Heimat in Budapest
Gertrud gab Privatunterricht in Deutsch und Französisch, ihr Mann András arbeitete als Abteilungsleiter bei einem Glas- und Porzellangroßwarenhändler. Seine Kenntnisse der deutschen, slowakischen und tschechischen Sprache halfen ihm, in eine wichtige Position im Außenhandel mit der DDR und der Tschechoslowakei zu kommen und oft dienstlich in diese Länder zu reisen.
Das Ehepaar fuhr Ende der 1960er Jahre mehrmals mit dem eigenen Auto in die Tschechoslowakei. Sie besuchten aber stets Verwandte in Großrauschenbach/Revúca in der Mittelslowakei. Gertrud wollte nicht zurück nach Matzdorf. Sie schmerzte vor allem, dass ihr literarisches Archiv, die Fotos und anderen persönlichen Gegenstände für immer verloren waren. Später reisten nur ihr Mann und ihr Neffe János Heim in die frühere Heimat, um Familiengräber zu pflegen und sich mit Verwandten zu treffen.
Agnes Gertrud Heim geb. Scholtz starb am 30. März 1985 in Budapest. Ihr Mann András lebte weitere 12 Jahre, er starb am 18. Juli 1997. Beider Urnen befanden sich bis 2008 in einem Budapester Kolumbarium. Dann reisten Verwandte des András Heim in die Hohe Tatra, um den letzten Wunsch des Ehepaars zu erfüllen – für immer und ewig in den Bergen zu sein – und verstreuten beider Asche im Großen Kohlbach-Tal (Veľká Studená dolina).
Die Bergsteigerin Agnes Gertrud Scholtz
Im Alter von 19 Jahren begann Gertrud Scholtz mit dem Bergsteigen. Das imposante Panorama der Berge der Hohen Tatra lockte sie, einmal selbst dort oben zu stehen und von den Gipfeln heruntersehen zu können. Ihren Wunsch erfüllte sie sich bald mit Hilfe der Familie und von Freunden.
Dass sie dabei sogar sehr erfolgreich war, wurde erstmalig im Jahr 1925 der Öffentlichkeit bekannt. Die seit 1924 wieder herausgegebene Zeitschrift des Karpathenvereins mit dem Titel „Touristik, Alpinismus, Wintersport“ berichtet über ein Jubiläum der Bergsteigerin Agnes Gertrud Kallivoda. In diesem Artikel wird auch erwähnt, dass sie aus Bescheidenheit nicht alle Gipfelbesteigungen öffentlich macht und daher das nun mitgeteilte Jubiläum der 100. Gipfelbesteigung bereits weit übertroffen sei – die wahre Zahl liege bei 130 erreichten Tatra-Gipfeln. Dazu lesen wir:
„Gertrud Kallivoda, geboren in Matzdorf, hat sich seit 1918 durch beharrliche Übung im Bergsteigen Geschicklichkeit und Selbstständigkeit erworben. Sie kennt alle Teile der Tatra und wird als zuverlässiger Partner geschätzt. Am 20. September 1925 bestieg sie ihren 100. Gipfel der Tatra, den 2291 Meter hohen Simonturm (Žabí kôň). Der Aufstieg erfolgte auf einem neuen Weg, an der Winterwand, bis ganz an die Spitze. Sie bewältigte ihn mit den berühmten Poprader Brüdern Gusztáv Sándor Luczy und János Luczy (…) Wir schätzen und feiern die Leistung der Mitglieder des Karpatenverbandes. Wir wünschen der Jubilarin viel Erfolg beim Bergsteigen in der Tatra!“
Diese Mitteilung löste bei all denen, die sich nicht so intensiv mit dem Bergsteigen befassten, große Bewunderung aus. Die männlichen Bergsteiger schätzten ohnehin Gertrud Kallivoda als eine zuverlässige Bergführerin bei gefährlichen Klettertouren.
Gemeinsam mit Alfred Grosz
Die etwa 700 Meter südlich der Gerlachspitze gelegene kleinere Kammspitze Blumengartenturm/Kvetnicova veža (2425 Meter) wurde von Agnes Gertrud am 12. Oktober 1925 bestiegen. Aus dem Felkatal kommend, gelangte sie mit zwei Begleitern auf einer neuen Straße der Ostwand an die Spitze des Turms.
Einer ihrer häufigsten Begleiter bei Aufstiegen war Alfred Grosz. Mit ihm bestieg sie am 23. Juni 1926 als Erste den Salzberggrat/Hrebeň Soliska.
In Tourismus und Sport aktiv
Wie ihr Vater und Onkel engagierte sie sich für den Tourismus, auch deswegen war sie Mitglied im Karpatenverband. Sie organisierte nicht nur touristische Veranstaltungen, sie war auch selbst Teilnehmerin. Ein Beispiel ist die Fotoausstellung in Matlarenau/Tatranské Matliare, an der sie sich mit eigenen Fotos von Skirennen beteiligte.
In der Karpathen-Post wird 1933 in einem Bericht über den sehr langen Winter und den vielen Schnee in den Bergen auch von einer außergewöhnlichen Skifahrt am 29. Juni 1933 erzählt:
„Am Peter- und Paultag, dem 29. Juni, erstiegen die beiden bekannten Bergsteigerinnen und Skiläuferinnen des Karpathenvereins, Frau Gertrud Kallivoda und Frl. Dr. Klara Hensch, vom Schutzhaus am Langen See aus (2025 m) das Mittelgebirge (2380 m) und zwar konnten sie die Bretter bis auf den Gipfelgrat benützen, also so hoch, wie man auch im Winter mit Skiern aufzusteigen pflegt. Ebenso war auch die Abfahrt bis zur Mulde hinter dem Schutzhaus vollkommen glatt möglich.“
Agnes Gertrud Scholtz nahm auch regelmäßig an den Langlaufwettbewerben in Weszterheim/Tatranská Polianka teil. Wenn sie nicht selbst aktiv war, dann stellte sie sich als Kampfrichterin bei Skiwettbewerben zur Verfügung.
Von eigener Dichtung über Schauspiel bis zu Regie
Die anfangs genannte Rezitationskunst brachte Gertrud schnell in die Rolle der Schauspielerin. Nicht nur das, sie selbst engagierte sich für den Aufbau eines Amateurtheaters in ihrem Heimatort Matzdorf. Sie wählte die Theaterstücke aus, arrangierte die Aufführungen und spielte eine der Hauptrollen wie 1922 im Stück „Der Ritter der Kunst“ oder in einer Aufführung des „Weißen Rössl“.
Auch ihr Mann Eugen Kallivoda übernahm Rollen in Theaterstücken und Kabarettaufführungen. Wegen des großen Erfolges gab das Ensemble Gastspiele in anderen Orten der Zips.
Gertrud konnte als Tochter des Inhabers der Firma C.A. Scholtz die Kosten für Kostüme und Requisiten bestreiten und sicherte so die finanzielle Grundlage für das Laientheater.
Das Ensemble entwickelte sich schnell zu einem der besten in der Zips. Alle Theaterstücke in Matzdorf wurden in deutscher Sprache aufgeführt. Die letzte bekannte Aufführung unter ihrer Regie fand 1942 in Deutschendorf/Poprad statt. Es handelte sich um die ungarische Komödie „Tokaji aszú“ von László Szilágyi, gespielt von ungarischen Laiendarstellern.
Daneben war Gertrud dichterisch begabt. Sie schrieb Balladen und Lieder, mit Bezug zur Heimat, zur Natur oder auch satirische Texte und Gedichte. Ihre Werke werden oft auf einem mit dem Zipser Heimatdichter Friedrich Lám vergleichbaren Niveau gesehen.
Balladen und Lieder mit dem Komponisten Johann Mory
Einen besonderen Partner fand sie in dem Komponisten Johann Mory (1892-1978). Mory, seit 1921 auch Hotelbesitzer am Neuen Tschirmer See/Štrbské Pleso und Geschäftspartner der Firma C.A. Scholtz, hatte sich wegen der Melodik seiner Kompositionen den Beinamen „Schubert der Tatra“ erworben.
Mory vertonte verschiedene Texte von Gertrud Scholtz-Kallivoda. Ein Ergebnis sind die 1927 in Kesmark als Text und Noten gedruckten „Zipser Balladen und Lieder“. Die Zusammenarbeit endete leider mit dem Heranrücken der Kriegsfront.
Rundfunksendungen hatten zu diesem Zeitpunkt das gemeinsame Werk der beiden im Ausland bekannt gemacht. So brachte Radio Prag am 19. März 1935 eine Sendung mit den Balladen und Liedern von Johann Mory und Gertrud Kallivoda, zusammen mit Gedichten von Friedrich Lám und der Hymne der Zipserdeutschen, dem „Zipserlied“ von Friedrich Scholcz.
Dr. Heinz Schleusener
Dank geht an Dr. Andrej Janovsky für die Unterstützung mit Bild- und Textmaterial.