Mnisek nad Hnilcom

Ein Glücksfall – Das Literaturkränzchen von Einsiedel

Seit 22 Jahren engagieren sich die KDV-Mitglieder von Einsiedel an der Göllnitz/Mníšek nad Hnilcom in einer ganz besonderen Form für die deutsche Sprache und Literatur. Die Vorbereitung dazu ist zeitaufwendig, das Ergebnis einzigartig – das den Lesern des Karpatenblattes gut bekannte „Literaturkränzchen“. Dieser „Nachmittag der deutschen Poesie und Prosa“ ist eine großartige, im Karpatendeutschen Verein in dieser Form bislang einzigartige Werbung für das Beschäftigen mit deutscher Literatur.

Die Triebkraft der literarischen Veranstaltungen in Einsiedel ist ganz sicher Ilse Stupák. Ihr Geburtsname Alznauer (bzw. Alcznauer oder Altznauer) kann in Einsiedel und Wagendrüssel/Nálepkovo über Jahrhunderte zurückverfolgt werden, Al(c/t)znauers brachten den Namen im 18. und 19. Jahrhundert aus der Zips nach Siebenbürgen und in die USA, im 20. Jahrhundert auch nach Deutschland.

Ilse Stupák interessierte sich sehr früh für alle Gattungen der Literatur – für Epik, Lyrik und Dramatik. Ein guter Lehrer kann bei den Schülern Interesse erzeugen, das geschah an der Mittelschule in Einsiedel. Später, als Studentin an der Pädagogischen Schule J. A. Komenský in Kaschau/Košice, förderte die dortige, auch auf dem Gebiet der Literatur anspruchsvolle Ausbildung Ilse Stupáks fachliche und methodische Kenntnisse. Es fanden literarische Wettbewerbe statt, an denen sie sich mit viel Freude und Erfolg beteiligte. Als Lehrerin gab sie ihre Liebe zu ausdrucksvollen Texten, ob als Gedicht oder Prosa, in slowakischer oder deutscher Sprache, an ihre Schüler weiter.

Unterstützung durch alle Ortsgruppenmitglieder

In der Einsiedler Ortsgruppe wurde von Anfang an das Beschäftigen mit deutscher Literatur zu einem der Schwerpunkte in der Vereinsarbeit. Dazu hatte und hat Ilse Stupák bis heute in der langjährigen Ortsgruppenvorsitzenden Emme Czölder (geb. Schneider) und ihrer Nachfolgerin Gabriela Wenzelová starke Unterstützung. Auch die anderen Gruppenmitglieder beteiligen sich an dem, was man heute liebevoll das „Literaturkränzchen“ nennt.

Sie bereiten Buchvorstellungen vor, laden Gäste ein, bemühen sich um neue literarische Kontakte und führen diese fort. Alle Mitglieder bringen Ideen und Vorschläge für Form und Inhalt der Veranstaltungen ein. Es ist üblich, dass auch Bücher, die von Teilnehmern gerade gelesen wurden, mitgebracht und diskutiert werden. Historische Literatur (Goethe, Schiller, Heine, Fontane) wird ebenso wie die des letzten Jahrhunderts und der Gegenwart (Rilke, Kästner, Walser, Simmel) einbezogen, Heimatdichter (Göllner, Mehly, Konrad) und deren Werke werden genauso berücksichtigt wie Literatur-Nobelpreisträger (Hesse, Thomas Mann, Steinbeck, Grass).

literaturkränzchen einsiedel an der göllnitz
Die Hauptakteure des Literaturkränzchens: Emme Czölder und Ilse Stupák

Ein breites literarisches Spektrum

Ilse Stupák sagt von sich, sie lese beinahe alles. Gute Bücher wie die von Hermann Hesse hat sie fast alle gelesen. Ein interessantes Buch ist für sie „Frau Thomas Mann“ von Inge und Walter Jens, auch Thommie Bayer „Fallers große Liebe“, Martin Suter hat gute Bücher, Theodor Fontanes „Effi Briest“ oder „Robert Seethaler“ von Johannes Mario Simmel gehören zu ihren Lieblingsbüchern. Die Bücher des bayerischen Heimatdichters Hans Ernst (1904-1984), so sagt sie, sind wie für sie und die anderen Deutschen in der Slowakei geschrieben. Sie liest auch sehr gerne Gedichte, manche auch mehrmals wie die von Rainer Maria Rilke, Joachim Ringelnatz, Hermann Hesse, die Heidelberger Romantiker (z.B. Achim von Arnim und Clemens Brentano), Joseph von Eichendorff. Von den heutigen Dichtern liest sie gerne die Gedichte und Erzählungen des Hans Kruppa (*1952). Im Internet verfolgt sie das „Gedicht der Woche“, das die Mitarbeiter einer Offenburger Buchhandlung auswählen und veröffentlichen.

Ins Rampenlicht der Öffentlichkeit traten die Literaturfreunde aus Einsiedel im Juli des Jahres 2000, als die damalige Redaktion des Karpatenblattes über den „Nachmittag der deutschen Poesie und Prosa“ aus dem großen Saal des Hauses der Begegnung in Einsiedel berichtete. Diese Veranstaltung, bei der auch die Sängergruppe Spitzenberg unter Leitung des unvergessenen Johann König auftrat, markiert den Beginn der mittlerweile fest etablierten Literaturnachmittage.

Literaturkränzchen in Einsiedel an der Göllnitz
Ein „Kränzchen“ im August 2020

Die Erfolgsgeschichte in Kurzform

Viele Details gäbe es seitdem zu berichten. Sie würden ein Buch füllen. Gehen wir daher nur auf einige markante Ereignisse ein und beginnen mit dem „Literaturkränzchen“ am 13. März 2006. Im Karpatenblatt vom April 2006 lesen wir dazu: „Es war kaum vorstellbar, dass in einem so kleinen Ort wie Einsiedel an der Göllnitz, Menschen zusammenkommen, um sich bei gutem Kaffee über die Großen der Weltliteratur zu unterhalten.“ Natürlich gab es auch Vortragende und Gäste aus Deutschland. Im selben Jahr, am 1. Oktober, besuchten Dr. Walter Röll (1937-2016), Professor für deutsche Literatur des Mittelalters an der Universität Trier, und Christian Irsfeld M.A., damaliger DAAD-Lektor an der Philosophischen Fakultät der Uni in Prešov/Eperies, die literarisch aktiven Einsiedler. Sie informierten sich über den Literaturzirkel und den in der Region gesprochenen Dialekt. Anlass war eine über die Zips und die Einsiedler Mundart an der Uni Trier geschriebene wissenschaftliche Arbeit.

Alle verstanden sich sofort sehr gut – Literatur verbindet. Mehrmals zu Gast war der in Schwedler/Švedlár geborene Prof. Dr. Dr. Ferdinand Klein, Mitautor und Herausgeber der „ZIPSER TRILOGIE – Potoken und Mantaken dazähln“ (2020) und zugleich einer der zahlreichen Spender von Büchern für die Bibliothek im Haus der Begegnung. Genannt werden sollen auch Dr. Walter Sohler und sein 2021 verstorbener Bruder Ladislaus Sohler. Letzterer ist als Autor des 2015 erschienenen Dialektwörterbuches „Deutsche Mundart in den Zipser Gründen“, dem Tonaufnahmen des Inhalts beigelegt sind, sowie als Übersetzer von Franz Ratzenbergers Mundartgedichten „Iba Peak ond Tool“ (Über Berg und Tal) bekannt.

Am 12. März 2011 fand ein „Nachmittag der deutschen Poesie und Prosa“ im großen Saal des Hauses der Begegnung statt. Ľudmila Netíková, damals technische Redakteurin des Karpatenblattes, berichtete: „Zu dieser einzigartigen Veranstaltung kamen Rezitatoren und Gäste aus dem ganzen Göllnitztal. Es fehlten auch nicht die Ehrengäste – der Bürgermeister von Einsiedel, Herr Ing. Ľudovít Kujnisch mit seiner Gattin, die Vorsitzenden und Vorstandsmitglieder der OG des KDV aus der Region Unterzips.“ Ihre Wertschätzung für diese außergewöhnliche Kulturveranstaltung bewies die seit 2015 das Karpatenblatt führende Katrin Litschko durch ihre aktive Teilnahme an der Veranstaltung, die am 7. Oktober 2017 im großen Saal im Haus der Begegnung stattfand und an der auch die Mitglieder der benachbarten Ortsgruppen teilnahmen.

Multiplikator nach innen und außen

Das literarische Kränzchen ist nicht nur ein Multiplikator für das Beschäftigen mit der deutschen Literatur in Richtung Slowakei, es macht das Interesse der deutschen Minderheit an der deutschen Sprache auch nach außen sichtbar. Dafür gibt es Anerkennungen der verschiedensten Art. Sie beginnen mit Briefen erfreuter Leser, gehen über Post von deutschen und österreichischen Autoren bis hin zu Büchern, die Einrichtungen im Ausland oder namhafte Autoren selbst dem Kränzchen schicken. Von diesen sollen hier genannt werden: Dietmar Grieser (1934), Peter Hahne (*1952), Ilse Helbich (*1923), Klara Köttner-Benigni (1928-2015), Thilo Krause (*1977), Ingrid Noll (*1935) und der Tübinger Bestsellerautor Dr. Peter Prange (*1955). Dem Literaturkränzchen gehen aufgrund der Lesefreude seiner Mitglieder die Themen nicht aus. Es wird auch zukünftig viele interessante Bücher besprechen und darüber informieren. Die Karpatendeutschen hoffen und wünschen, dass die Einsiedler dieses einzigartige Engagement für die deutsche Literatur noch lange weiterführen.

Dr. Heinz Schleusener