Ökonom und Publizist Gregor von Berzeviczy (1763 – 1822)
Besitzen Sie ein Poesie- oder Freundschaftsalbum? Ein Buch, in das Ihnen gewidmete Einträge geschrieben werden? Hoffentlich bewahren Sie es gut auf. Das von Gregor von Berzeviczy mit Widmungen von Goethe, Herder und Wieland wurde im Oktober 2009 auf der Frankfurter Buchmesse gestohlen.
Wer war Gregor von Berzeviczy und wie kam er mit Goethe, Herder und Wieland zusammen? Betrachten wir sein Leben etwas näher.
Geboren wurde Gregor Franz von Berzeviczy am 15. Juni 1763 in Groß-Lomnitz/Veľká Lomnica. Seine Eltern gehörten zum alten ungarischen Adel.
Als Gregor sieben Jahre alt war, starb sein Vater. Die Erziehung übernahm der Bruder der Mutter, Emrich Horvath Stansics de Gradecz. Zunächst lernte er bei Privatpädagogen, dann im evangelischen Lyzeum Kesmark.
Nach Gymnasium Patvarie
Als Patvarie bezeichnete man das, was heute ein Praktikum ist. Gregor lernte so bei einem Kircheninspektor ein Jahr lang die Probleme der evangelisch-reformierten Kirche kennen.
Danach machte er sich als Geschworener in Pest mit der Rechtsprechung vertraut. Mit einem „rühmlichen Zeugnis und dem Advocatendiplom“ schloss er diese Studien ab.
Weiter in Göttingen
Der gute Ruf, den die Göttinger Universität in Europa hatte, weckte auch bei Gregor Interesse. Kaiser Joseph II (1741-1790) unterstützte Studien im Ausland und so reiste er 1784 mit Empfehlungen und einem Pass der Staatskanzlei nach Göttingen, um dort Geschichte, Staatswissenschaften und Philosophie zu studieren.
Gregor nutzte darüber hinaus den Aufenthalt, um in Deutschland zu reisen und Kontakte zu Gelehrten und Adligen zu knüpfen. Bei diesen Gelegenheiten bat er um Einträge in sein „Stammbuch“, welches so zu einer wertvollen Sammlung von Einträgen berühmter Personen dieser Zeit wurde. Mit dem im Jahr 2009 geschätzten antiquarischen Wert von etwa 70.000 Euro war es ein begehrtes Objekt für Diebe.
Kreuz und quer durch Europa
Gerade 23 Jahre alt, reiste Berzeviczy im Herbst 1786 über Kassel, Frankfurt, Mainz, Metz und Chȃlons nach Paris. Dort blieb er drei Monate. Der österreichische Gesandte Graf Mercy-Argenteau (1727-1794) machte ihn am Hof in Versailles bekannt.
Weiter ging es nach Brüssel. Man bat ihn, dort Depeschen an den Statthalter der Österreichischen Niederlande, den Kunstsammler und Namensgeber der Albertina in Wien, Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738-1822), zu übergeben. Nach einigen Wochen reiste er über Gent, Brügge und Ostende weiter nach London. Hier wurde er von seinen Göttinger Mitstudenten, den englischen Prinzen Adolph, August und Ernst sowie dem österreichischen Botschafter Revicky, in die oberen Kreise eingeführt.
Eigene Standpunkte
Aus den bei seiner Ausbildung und auf den Reisen gemachten Erfahrungen und Erlebnissen formte sich Gregor ein eigenes Weltbild. Er sah die feudalistische Monarchie, die nationalökonomischen Abläufe und das Verhältnis der katholischen und evangelischen Kirche zueinander verbesserungsbedürftig.
Nach seiner Rückkehr 1787 hatte er dem Kaiser höchstpersönlich zu berichten. Die Audienz bei Kaiser Joseph II. dauerte zwei Stunden, eine außergewöhnlich lange Zeit. Der Kaiser soll ihn mit den Worten „Ich bin mit Ihnen ganz zufrieden“, dem Rat für die Zukunft, von „unten auf zu dienen“, und „führen Sie sich brav auf, ich will für Sie besorgt seyn“ entlassen haben.
Zurück in die Zips
Gregor übernahm in der Zips und später in Ofen/Buda Aufgaben im Staatsdienst. Der Tod Joseph II. Anfang 1790 beeinflusste auch Berzeviczys Laufbahn. Der neue Kaiser, Josephs jüngerer Bruder Leopold II. (1747-1792), beendete den eingeleiteten Reformkurs in Verwaltung und Hofstaat. Gregor zog sich daraufhin auf die Güter der Familie in der Zips zurück.
Aktiv und geehrt
Hier widmete er sich nun vor allem der wissenschaftlichen Arbeit. Berzeviczy bereiste und beschrieb die „carpathischen Alpen“. Mehr noch, er wurde zu einem Führer der „Carpathenreisenden“. Er erkannte, dass die Tatra über einen großen Torfvorrat verfügte und bemühte sich, in der Zips den Gebrauch des Torfs als Heizmaterial einzuführen.
Berzeviczy publizierte in Deutsch und Latein. Besondere Beachtung fanden seine ökonomischen Publikationen. Er kritisierte die Situation der Bauern und Nichtadligen, analysierte Finanzen und Handel in Ungarn und zeigte Wege für Verbesserungen, etwa bezüglich des Außenhandels.
Um für den Handel mit den nordeuropäischen Ländern zu werben, brachte er eine Ladung Weine auf Flößen über die Flüsse Poprad, Dunajec und Weichsel nach Warschau und berichtete darüber.
Die Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen würdigte seine Arbeit 1802 mit der Berufung zum Ehrenmitglied.
Doch noch Heirat
Obwohl man Berzeviczy eine Abneigung gegen das Heiraten nachsagte, vermählte er sich 1802 mit seiner Nichte Theresia Berzeviczy. Von den sechs geborenen Kindern überlebten zwei das Kinderalter.
Berzeviczy starb am 23. Februar 1822 in Groß-Lomnitz. Das Fachgymnasium in Miskolc, eine renommierte Ausbildungsstätte für Handel, Finanzen und Tourismus, und eine Parallelstraße der Váci utca in Budapest tragen seinen Namen. In seiner Heimatstadt erinnert eine Grabplatte an den Vordenker moderner Ökonomie.
Dr. Heinz Schleusener