Berühmte Zipser: Wilhelm Bodenlos
Wenn ein junger Mann aus Hamburg Matrose wird, wird das als völlig normal angesehen. Das Meer liegt ja vor der Haustür. Bei Wilhelm Bodenlos war das etwas anders. Von seinem Geburtsort Metzenseifen ist der nächste große Hafen über 750 Kilometer entfernt. Im Norden wäre das Danzig (760 Kilometer), im Süden Triest (770 Kilometer) und als dritte Möglichkeit im Südosten die rumänische Hafenstadt Konstanza (950 Kilometer). Trotzdem wurde er Matrose und fuhr zur See, bis heute wohl als einziger seiner Heimatstadt.
Ein kleiner Teil seiner ganz besonderen Lebensgeschichte lässt sich dem Tagebuch von Wilhelm Bodenlos entnehmen. Es besteht aus zwei DIN A-6 Notizbüchern. In diesen sind seine Erlebnisse in der Zeit von 1916 bis 1918 aufgeschrieben. Das Tagebuch befand sich in seinem Nachlass, in dem sich aus dieser Zeit zwei Marineblusen, eine Marinekappe sowie verschiedene Dokumente und Fotografien befanden. Wilhelm (slow. Viliam, ung.: Vilmos) Bodenlos (ung. Bodenlosz) wurde am 25. Mai 1898 als Sohn von Johann Bodenlos und Anna Maria Bröstl geboren.
Nach seiner Schulzeit erlernte er den Beruf des Uhrmachers. Während des Ersten Weltkriegs wurde er in die ungarische Armee einberufen. Die Musterung nutzte er, um sich für den Dienst in der kaiserlichen und königlichen Marine zu bewerben. Wilhelm, für den das Meer bisher in unerreichbarer Ferne lag, kam tatsächlich zur Ausbildung als Matrose an die Adria.
Militärhafen Pula
Der entscheidende Standort für die österreichische Kriegsflotte, für ihre U-Boote und Schiffe, war der Hafen von Pula im heutigen Kroatien. Es handelte sich um eine große Marinebasis. Beim Hafen befanden sich die Hafenadmiralität und das Hafenhauptquartier, die Wasserflugzeugbasis, die Ingenieurschule und das Seearsenal, eine Werft mit einem Komplex von Werkstätten und Lagerhallen. Hier war das Zentrum des Schiffbaus und der Reparatur sowie weitere Einrichtungen der k.u.k. Marine.
Die Kasernen in Pula erreichte Vilmos Bodenlosz, wie er auf dem ungarischen Ausweis hieß, am 2. Juni 1916. Die dortige Rekrutenschule besuchte er bis zum 11. August 1916, dann wurde er dem Schiff S.M.S. Alpha zugeteilt. Das Präfix S.M.S. bedeutet „Seiner Majestät Schiff“, es fand in den deutschsprachigen Monarchien Verwendung. Das Schiff Alpha war ein Schulschiff für Torpedoschützen. Hier erhielt Vilmos seine Spezialisierung für das Bedienen von Torpedokanonen. Diese theoretische Schulung endete am 21. August, am 23. September folgte die Praxis auf dem Torpedoschiff „PT – SM Torpedoboot 18“.
Das 47,2 m lange und 5,3 m breite Boot besaß drei Torpedokanonen. Ab 11. Oktober absolvierte er auf dem S.M.S. Adria, einem Artillerieschulschiff, ein Übungsschießen.
Auf Kriegsschiffen
Das direkte Kriegsgeschehen hatte ihn bis zum Ende des Jahres 1916 noch nicht erreicht. Kriegsgeräusche waren gelegentlich aus der Ferne zu vernehmen, vermutlich als die Italiener im September und Oktober 1916 das Gebiet um Pula bombardierten. Das änderte sich am 2. Januar 1917 mit der Versetzung auf das Kriegsschiff S.M.S. Árpád. Dessen Besatzung bestand aus 638 Männern, davon 32 Offiziere. Die Kampfhandlungen begannen. Im Mai 1917 kam es zu Gefechten in der Straße von Otranto. Sie befindet sich an der schmalsten Stelle zwischen Italien und Albanien. Ein besonderes Ereignis, das einen Eintrag im Tagebuch brachte, war der Besuch des Kaisers Karl I. )1887-1922), der 1916 nach dem Tod des Kaisers Franz Joseph bis zum Ende der Monarchie österreichischer und als Karl IV auch König von Ungarn war.
Am 9. Januar 1918, nach der Stilllegung der Árpád, kam Vilmos wieder auf die S.M.S. Alpha. Hier hatte er nur einen kurzen Einsatz, ab 14. Februar diente er auf einem Torpedoboot, dem in Fiume, dem heutigen Rijeka, gebauten PT – SM Torpedoboot 86 Fiume.
Anfang Februar war er Teilnehmer eines anderen Ereignisses – des Matrosenaufstandes von Cattaro. Heute heißt die Stadt Kotor und liegt in Montenegro.
Selbst Matrose von Cattaro
Die „Matrosen von Cattaro“ wurden später vor allem durch das gleichnamige Werk des Dramatikers Friedrich Wolf (1888-1953) unvergessen. Gründe für den Aufstand der Matrosen waren die schlechte Verpflegung, der physisch extrem belastende Dienst und die räumliche Enge, die zu schnell zu körperlichen Konflikten zwischen den Matrosen führte. In dem Tagebuch berichtet Villiam sogar über Todesfälle wegen Unterernährung.
Im Hintergrund beeinflussten die Nachrichten vom Sieg der Bolschewiki in Russland die Einstellungen vieler Matrosen zum Krieg und schufen den Nährboden für den Aufstand, an dem sich 6.000 Matrosen auf 40 Schiffen der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine beteiligten. Auch Vilmos Bodenlosz schloss sich dem Aufstand an, der am 1. Februar 1918 mit dem Anbringen von roten Fahnen auf Schiffen und Gebäuden begann. Die Offiziere wurden entwaffnet und Matrosenräte gebildet.
Die besser organisierten und dem Kaiser ergebenen Bodentruppen schlugen den schlecht organisierten Aufstand schnell nieder. Schon am 11. Februar wurden die Führer des Aufstandes standrechtlich erschossen.
Villiam Bodenlosz stand nicht in den vorderen Reihen der Aufständischen, er überstand die Prüfung der Besatzung, bekam einen neuen Militärpass und führte seinen Dienst als Torpedoschütze bis zum Waffenstillstand im November 1918 fort.
Ideen der Aufständischen angenommen
Er verließ die Armee im Rang eines Seemanns 1. Klasse und mit dem von Kaiser Karl I. von Österreich-Ungarn für die gestifteten Karl-Truppenkreuz. Die Reden der Führer des Aufstandes hatten ihn aber beeinflusst. Dazu sind in seinem Tagebuch entsprechende Einträge vorhanden.
Viele der Forderungen fand er noch immer berechtigt, sie beeinflussten die Haltung des jungen Mannes. Nach dem Ende des Krieges, als viele Menschen im zerfallenden Kaiserreich auf neue Perspektiven hofften, wurde er Mitglied der ungarischen Roten Armee.
Nach seinem Eintritt am 21. März 1919 brauchte er nur einige Monate, um zu erkennen, dass dies nicht der richtige Weg für ihn war. Er verließ die ungarische rote Armee bereits am 2. August 1919.
Tagebuch mehrsprachig
Mit den anderen im Nachlass befindlichen Gegenständen aus seiner Zeit als Torpedoschütze war das Tagebuch eines der interessantesten Objekte der Ausstellung „Takí bolí naší dedoviaci – Prvá svetová vojna a východné Slovensko“, die das Ostslowakische Museum in Kaschau im Jahr 2014 durchführte. Die Tagebucheintragungen sind ein Spiegelbild der Sprache seines Heimatortes. Einige sind in Deutsch, andere im mantakischen Dialekt der Region um Metzenseifen und andere in Ungarisch.
Das verwendete „Ungarisch“ zeigt, dass es nicht seine Muttersprache ist. Zum Tagebuch gehört ein kleines, selbst angelegtes Wörterbuch, in dem er die in der Ausbildung und im militärischen Dienst genutzten deutschen Begriffe ins Ungarische übersetzt hatte. Die Notizbücher werden durch verschiedene Dokumente ergänzt. So liegen Adressen, Artikelausschnitte, Werbung, Flugblätter und Notizen im Umfang von 90 Seiten bei.
Endlich wieder Uhrmacher
Nach seiner Rückkehr in die inzwischen gegründete Tschechoslowakei hieß er Viliam Bodenlos. Er heiratete, die Ehe blieb kinderlos. Seine humorvolle Art machte ihn im Ort beliebt, gerne ging man zu dem Uhrmacher, der das Mittelmeer als Matrose und Torpedoschütze kennengelernt hatte. Im Alter von 93 Jahren starb er am 15. Oktober 1989 in Metzenseifen.
Dr. Heinz Schleusener