Der schwäbische Gruß des Götz von Berlichingen im alten Ungarn

Der schwäbische Gruß, den Goethe den Ritter Götz von Berlichingen in seinem gleichnamigen Schauspiel an den Hauptmann des kaiserlichen Exekutionsheeres ausrichten lässt, wurde auch im alten Ungarn gern verwendet und nicht nur von den niederen Schichten. So berichtete mein Vater, dass sich um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert in meiner Heimatstadt Einsiedel (ungarisch Szepesremete, slowakisch Mníšek nad Hnilcom), Folgendes zugetragen hat.

Die Tochter eines Einsiedler Volksschullehrers war wie so manche Zipser damals nach Budapest gezogen, um dort ihr Glück zu finden. Mit Erfolg. Nach einer Ausbildung als Sängerin fand sie eine Anstellung an der Oper und machte als gefeierte Opernsängerin die Bekanntschaft des Husarenoberleutnants Graf Festetich aus einem alten ungarischen Adelsgeschlecht mit Sitz in einem mächtigen Barockschloss in Keszthely am Westufer des Balaton. Und es war wie im Märchen: Der Graf heiratet die bürgerliche Lehrerstochter. Das Paar beschließt, sich auch einen Wohnsitz in Einsiedel in den Zipser Gründen zu errichten. So erhielt auch der jüngste Tischlermeister der Gemeinde einige Aufträge.

Das Geld blieb aus

Mit dem Bezahlen schien sich das gräfliche Paar aber sehr viel Zeit lassen zu wollen. Nachdem ein großzügig bemessener Zeitraum verstrichen war und der junge Meister glaubte, lange genug gewartet zu haben, schreibt er eine Rechnung und beauftragt den Lehrburschen, diese dem Grafen zu überbringen. Der Graf nimmt die Post entgegen und gerät schon beim Lesen in Zorn. Er greift nach einer Feder und vermerkt in feiner gräflicher Schrift die ungräfliche Bemerkung: „Herr Meister, Sie können mich am … lecken“ Aufgeregt überbringt der Bote die Nachricht seinem Meister. Dieser liest und greift sogleich zu seinem ovalen, dicken Tischlerbleistift und schreibt in großer, etwas ungelenker Handwerkerschrift: „Herr Graf, und Sie mich auch!“

Und wieder muss der Lehrbursche die Botschaft überbringen. Der Graf ist außer sich, wirft sich die Jagdflinte über die Schulter und eilt mit seinem Jagdhund an der Leine schnurstracks zur Tischlerwerkstatt. Statt zu grüßen, poltert er gleich los: „Und ich sage es Ihnen nochmals, Herr Meister, Sie können mich…..!“ Der Meister bleibt ruhig und wiederholt selbstbewusst mit fester Stimme seine schriftliche Antwort: „Und Sie mich auch, Herr Graf!“ Die Situation ist sehr angespannt. Die anwesenden Gesellen geben allerdings durch ihre Körpersprache klar zu erkennen, dass sie notfalls ihrem Meister beistehen werden. So tritt der Graf trotz Gewehr und Hund laut schimpfend den Rückzug an.

Die Geschichte nimmt ein gutes Ende. Die Standhaftigkeit des Meisters wird belohnt, der Graf zahlt die Rechnung und versöhnt sich mit dem deutschen Tischlermeister, der mit der zur Gräfin aufgestiegenen Lehrerstochter von Jugend auf bekannt gewesen war.

schwäbischer gruß
Links im Vordergrund Regierungskomissär Rudolf Göllner im Juni 1940 kurz vor dem Eintreffen von Bischof Scherer aus Preßburg, der zum 150-jährigen Jahrestag der Errichtung der evangelischen Kirche in Einsiedel eingeladen war.

Eine Erinnerung an die Zeit des Kriegsbeginns

Wenig versöhnlich endet eine andere Geschichte, die sich viele Jahre später auch in Einsiedel abspielt. Mein Vater wurde 1939 vom slowakischen Bezirkshauptmann in Göllnitz zum Regierungskommissär (mit Bürgermeistervollmachten) bestellt. Es war in der Zeit der sogenannten ersten Slowakischen Republik von Hitlers Gnaden. Nachdem sich die nationalsozialistisch beeinflusste Deutsche Partei ständig in seine Amtsgeschäfte einzumischen versuchte, ließ er dem Kreisleiter wie Götz von Berlichingen genervt wissen, er könne ihn mal. Das hatte zwar keine unmittelbaren Konsequenzen, da mein Vater bei den zuständigen slowakischen Behörden gut angesehen war, vor allem bei dem Bezirkshauptmann in Göllnitz, einem Dr. Borsig, Spross der bekannten deutschen Industriellenfamilie. Allerdings führte der Druck der Deutschen Partei dann im September 1940 doch zu seiner Amtsenthebung. Er hat es allerdings nicht als Nachteil angesehen, denn er schreibt in seinen „Erinnerungen“: „Das war in dieser unsicheren Zeit für mich gar nicht mit Nachteilen verbunden. So blieb mir auch erspart, in die verbrecherische Verfolgung der Juden verwickelt zu werden.“

Rudolf Göllner