ruskinovce kirche

Die Reformation und die evangelische Kirche in Rissdorf

Rissdorf/Ruskinovce und weitere Nachbargemeinden mussten 1952 einem Truppenübungsplatz weichen und die Ortslagen wurden in den darauffolgenden 25 Jahren vollständig zerstört. Im Karpatenblatt werfen wir regelmäßig einen Blick auf interessante Kapitel in der Geschichte von Rissdorf – wie die Reformation und die evangelische Kirche.

Mit der Reformation Anfang des 16. Jahrhunderts begann die Spaltung des westlichen Christentums in verschiedene Konfessionen. Bereits 1520 kamen die Schriften Luthers und Melanchtons in das Zipser Land. So predigte als einer der ersten Thomas Preißner Luthers Thesen von der Leibitzer Kanzel.

Zipser Kaufleute, die die Leipziger Messe besuchten und Studenten, die in Wittenberg studierten, brachten ebenfalls Luthers Lehre in die Zips. Die ersten evangelischen Gemeinden bildeten sich bis 1542. In Rissdorf nahm Pfarrer Zacharias Pikl 1566 als Erster das Augsburger Bekenntnis an. Bis 1671 trat der größte Teil der Zipser Gemeinden zur evangelischen Kirche über und nahm mit Freude die neue Lehre an, in der sie den zeitgemäßen Fortschritt erkannten.

Die evangelischen Gemeinden benutzten die katholischen Kirchen für ihre Gottesdienste, Schulen und Pfarrhäuser und ebenso die Einkünfte der katholischen Kirchen.

Gegenreformation in der Zips

Die Gegenreformation nahm bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Zips ihren Anfang und trat immer rücksichtsloser gegen die evangelische Kirche auf. Die Verfolgung der Protestanten war unter der Regierung von Kaiser Leopold I. (1658-1705) furchtbar. Viele evangelischen Pfarrer und Lehrer wurden vor Gericht gestellt, des Hochverrats beschuldigt und als Galeerensklaven verkauft.

In den 13 königlichen Zipser Städten, die wegen der Verpfändung unter polnischer Herrschaft standen, wurden die evangelischen Geistlichen wegen Rebellion des Landes verwiesen, das Militär besetzte die Pfarrhöfe.

Am 13. Mai 1674 gab man in den 13 Städten alle Kirchen den Katholiken wieder zurück. Rissdorf erhielt 1694 die Erlaubnis zum Bau des ersten Bethauses aus Holz mitten im Ort, in der „Oberen Zeile“. Theodor von Ellstermann, Administrator der Starostei Zips, erließ am 12. Juli 1765 ein Dekret zur Reparatur der Bethäuser in allen 13 Städten. Das löste in Rissdorf eine große Spendenbereitschaft der einheimischen Bevölkerung, aber auch auswärtiger Freunde aus. Das Gewölbe, der Chor, der Altar und die Kanzel wurden neu aufgebaut.

Kaiser Joseph II. gestand mit seinem Toleranzpatent vom 25. Oktober 1781 den Evangelischen die freie Religionsausübung zu. Die evangelische Schuljugend durfte bis 1782 nur von katholischen Lehrern und Kantoren unterrichtet werden. Erst danach konnten die Protestanten eigene Lehrer und Pfarrer einstellen, vorausgesetzt, sie sicherten ihre Gehälter, was oft große Probleme bereitete.

Die neue Kirche

Am 24. Juni 1800 wurde das Fundament für den ersten massiven Kirchenbau an der Stelle, wo vorher die beiden Bethäuser standen, fertiggestellt. Geweiht wurde diese neue Kirche (mit einer Länge von 14 und einer Breite von 6,5 Klafter) am 16. Oktober 1801. Sie besaß einen kleinen hölzernen Turm auf dem Kirchdach. Der Altar mit einem gekreuzigten Christus war nach Süden gerichtet, die mit Skulpturen geschmückte und bemalte Kanzel nach Westen. Im nach Norden gerichteten Chor stand die Orgel mit sechs Registern. Hinter dem Altar befand sich die Sakristei. Der separate Holzturm neben der Kirche erhielt 1816 seine 352 Pfund schwere Glocke. Alljährlich feierten die Protestanten am 16. Oktober die Kirchweihe. Das erste Gebäude für die evangelische Volksschule baute die Gemeinde 1805.

Im November 1885 konnte mit großem personellem und materiellem Aufwand ein neues Pfarr- und Schulgebäude neben der Kirche eingeweiht werden.

Die evangelische Gemeinde gründete eine Jugendkapelle und einen Gesangsverein. Am 19. Juni 1902 entschied sich die evangelische Kirchengemeinde für einen Kirchenneubau an gleicher Stelle der Vorgängerbauten. Die Einweihung dieser Kirche fand unter großer Anteilnahme aus nah und fern statt. Der Altar und die Kanzel fertigte die renommierte Tischlerei Nikolaus Seftsik aus Kesmark. Das einschiffige Bauwerk war 38 Meter hoch, rund 28 Meter lang und 10 Meter breit. Während des Ersten Weltkrieges zog man die große 404 Kilogramm schwere Glocke zwecks Materialgewinnung ein.

Sie wurde 1928 durch eine gleich große Glocke aus Eperies/Prešov ersetzt. Im Jahr 1937 baute Uhrmacher Jozef Horvay aus Kesmark/Kežmarok eine Uhr im Turm der evangelischen Kirche ein. Die Uhr hatte vier Zifferblätter, schlug die volle, die halbe und die viertel Stunde.

Rissdorf evangelische Kirche
Die im Jahr 1904 errichtete neue evangelische Kirche

1944 begann die Vertreibung der Deutschen

Mit der Gründung des Truppenübungsplatzes „Javorina“ 1952 war leider auch das bittere Ende der evangelischen Kirche eingeläutet. Als eines der letzten Gebäude wurde sie in den 70er bis 80er Jahren zerstört. Die Glocken übernahmen die Gemeinden Hranovnica und Mernik. Der neugotische Altar verblieb etwa 35 Jahre in der evangelischen Kirche von Vrbov bis er nicht mehr benötigt wurde. Das Altargemälde, das 1850 der deutsche Maler Julius Springer schuf, schmückt heute das Auditorium der evangelischen Gemeinde in Zipser Bela/Spišská Belá.

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Das gerettete Altargemälde

Die Orgel ist heute Bestandteil des Freilichtmuseums der Liptauer Gemeinde Pribylina und wird seit ihrer Restauration im Jahr 2002 zu Gottesdiensten gespielt. Eine Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen aus Rissdorf befindet sich in der evangelischen Kirche in Leibitz. Das Konfirmandenbuch und die Kirchenchronik, die zurzeit bearbeitet wird, sind im Eigentum der evangelischen Kirche Kesmark.

Reinhard Scholtz

(reinhard@familie-scholtz.de)

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1957 – die evangelische Kirche (im Vordergrund) inmitten des zerstörten Landes