„Ein denkwürdiges historisches Dokument“
Mit diesen Worten bezeichnete der Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert bei der Eröffnung der Ausstellung „Die Karpatendeutschen“ im Deutschen Bundestag am 26. Januar 2011, die Erklärung des Slowakischen Nationalrats zur Vertreibung der Karpatendeutschen. Dieses Dokument verabschiedete der Nationalrat am 12. Februar vor 30 Jahren unter der Nr. 272/1991. Die Zeit vor 30 Jahren haben viele von uns noch in guter Erinnerung. Mit welchen Meilensteinen war der Weg zu dieser historischen Erklärung gekennzeichnet?
Nach der Wende im Herbst 1989 haben sich bei den Karpatendeutschen die Besuche aus Deutschland deutlich vermehrt, und auch die Karpatendeutschen reisten öfter nach Deutschland oder Österreich. Neben diesen individuellen Begegnungen entwickelten sich auch die ersten offiziellen Kontakte der Karpatendeutschen Landsmannschaften (KdL) mit den slowakischen Stellen. An der Kulturtagung der KdL am 4. und 5. Mai 1990 in Stuttgart nahmen Pavel Pollák und Anton Snahničan teil. Beide waren zur Tagung offiziell vom slowakischen Ministerpräsidenten Milan Čič entsandt worden. Die Begegnung überschritt den Bereich der Landsmannschaft, denn sie hatte auch Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Baden-Württemberg und der Slowakischen Republik .
M. Čič empfing I. Lasslob
Nach den Treffen in Stuttgart entschloss sich der Bundesvorsitzende der KdL Isidor Lasslob (gebürtig aus Krickerhau – Neuhau) , einen Überblick über den Bedarf und die Möglichkeiten an organisatorischen Ansatzpunkten der in der Slowakei lebenden Karpatendeutschen zu gewinnen. Am 4. Juni 1990 besuchte er den Ministerpräsidenten der SR, Milan Čič und sprach dort die Lage der in der Slowakei lebenden Deutschen und auch einige Punkte der gemeinsamen Geschichte an. Hierbei bat er um Hilfe bei der Pflege der deutschen Sprache und Kultur. Vom Ministerpräsidenten erhielt er die Zusage, dass – falls die in der Slowakei lebenden Deutschen für sich eine Organisation finden – man diese registrieren werde und dass die gewählten Vertreter dieser Organisation als Sprecher der dort lebenden Karpatendeutschen seitens der Regierung anerkannt würden.
Intensivierung der Kontakte
In den nächsten Monaten intensivierten sich die Begegnungen der Karpatendeutschen und der slowakischen Vertreter mit dem Ziel einer Neuformierung der Beziehungen. Dazu trugen die Vertreter der KdL mit etlichen Gesprächen, Besuchen und offiziellen Tagungen viel bei. Im Juni 1990 besuchten die Zips zwei maßgebende Vertreter der KdL aus Deutschland, Ernst Hochberger und Adalbert Haas. Auch bei der Gründung des Karpatendeutschen Vereins in der Slowakei am 30. September 1990 waren Isidor Lasslob und Adalbert Haas als Gäste und Vertreter der KdL dabei.
Durch Vermittlung der KdL besuchten zwei hohe Beamte des Parlaments der SR, Richard Schin und Milan Truban, den Baden-Württembergischen Landtag in Stuttgart. Am 18. Januar nahmen sie auch an der Vorstandssitzung des Karpatendeutschen Kulturwerkes in Karlsruhe teil. Thema der Gespräche war auch die Erklärung des Nationalrates sowie die Vorbereitung des Besuches der slowakischen Abgeordneten an der Spitze mit Parlamentspräsident František Mikloško im baden-württembergischen Parlament. Dieser Besuch fand am 13. Mai 1991 statt.
Annahme der Erklärung
In dieser Zeit arbeitete ich am Historischen Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, das der bekannte Historiker Dušan Kováč leitete. Ich erinnere mich – und das bestätigte mir bei mehreren Gesprächen auch der damalige Vizepräsident des Nationalrates, Milan Zemko – dass damals Dušan Kováč durch den Nationalrat beauftragt wurde, den Text für die Erklärung vorzubereiten. An der Sitzung des Präsidiums des Slowakischen Nationalrates am 11. Februar 1991 hat Milan Zemko den Entwurf vorgestellt. Der Entwurf wurde angenommen und einen Tag später vom Nationalratsabgeordneten Anton Hykisch hat auf der 10. Plenarsitzung verlesen. Von den 113 anwesenden Abgeordneten stimmten 96 für und 13 gegen die Erklärung; 4 enthielten sich. So wurde die Erklärung des Slowakischen Nationalrates „Zur Vertreibung der Karpatendeutschen“ angenommen.
Auf der Veranstaltung des Karpatendeutschen Vereins in Martin (15. bis 17. Februar 1991) überreichte der Abgeordnete Ivan Brndiar dem Vorsitzenden der KdL, Isidor Lasslob, die Urkunde in einer repräsentativen Ausfertigung. Anwesend waren dabei auch Vertreter des Nationalrats und der Regierung. Ivan Brndiar war Mitglied des Präsidiums und Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für Nationalitäten, ethnische Gruppen und Menschenrechte.
Eine versöhnende Hand
Der Slowakische Nationalrat verurteilte als erstes frei gewählte Parlament der Slowakischen Republik in dieser Erklärung die Anwendung des Prinzips der Kollektivschuld, mit welchen Argumenten auch immer es begründet würde. Der Vizepräsident des Nationalrates Milan Zemko schrieb, dass er überzeugt sei, dass „(…) die Brücke der Verständigung zwischen unseren Völkern für immer den versandenden Fluss des Kriegshasses überwölben wird.“
In der offiziellen Stellungnahme der KdL sprach man von „(…) einem bedeutenden historischen Ereignis – für das slowakische Volk und für die karpatendeutsche Volksgruppe.“ Es wurde auch empfohlen eine slowakisch-deutsche historische Kommission zu bilden, um die gemeinsame Vergangenheit aufzuarbeiten. Auch wenn einige Formulierungen kritisch angenommen wurden, dennoch empfinde „(…) die karpatendeutsche Volksgruppe über diesen Entschluss Genugtuung und sie ergreift gerne die dargebotene Versöhnungshand.“
Über die Erklärung im Bundestag
Anlässlich des Besuchs des slowakischen Parlamentspräsidenten Richard Sulík im Deutschen Bundestag in Berlin wurde am 26. Januar 2011 die Ausstellung „Die Karpatendeutschen“ eröffnet. Hauptanlass war der 20. Jahrestag der Erklärung. Diese Ausstellung beleuchtete jedoch nicht nur die gemeinsame Vergangenheit, sondern wies vor allem auch in die Zukunft. „Lassen Sie uns die gemeinsame Zukunft zu einem gemeinsamen Anliegen machen“, sagte Bundestagspräsident Lammert. Der slowakische Parlamentspräsident Richard Sulík hob in seinem Redebeitrag die 800-jährige gemeinsame Geschichte der Slowaken und Deutschen hervor, die lange Zeit friedlich miteinander gelebt haben, auch wenn es die bekannten Schattenseiten gegeben habe. Er sagte: „Es tut mir leid für die Menschen, die damals Schmerz erfahren mussten. Lassen Sie uns gemeinsam in die Zukunft schauen.“
Neues Kapitel
Dieser vielseits beachtete politische Schritt, mit dem das erste demokratisch gewählte slowakische Parlament das Prinzip der kollektiven Schuld verurteilt und sein Bedauern über den Verlust der deutschen Mitbürger zum Ausdruck gebracht hatte, hat in den Beziehungen zwischen den Karpatendeutschen und der Slowakei sowie zwischen den beiden Ländern ein neues Kapitel aufgeschlagen. Ergebnisse dieser historischen Tat haben wir in den vergangenen 30 Jahren gestaltet und erlebt.
Ondrej Pöss