Hilfe für Kriegsflüchtlinge

Erinnern ist gerade heute geboten

Der russische Überfall auf die Ukraine betrifft uns alle. Der Krieg findet mitten in Europa statt. Erinnern am meinen Vortrag beim Bernrieder Heimat- und Kulturseminar des Hilfsbundes Karpatendeutscher Katholiken e.V. München – Landesverband Bayern ist geboten.

Ich sprach am 30. März 2015 über das Thema „Sinn im Sinnlosen finden nach logotherapeutischem Verständnis – Nachdenken über die tiefe Sehnsucht des menschlichen Herzens und Erfahrungen beim Literaturkränzchen in Einsiedeln an der Göllnitz“. Im Folgenden zitiere ich aus diesem Vortrag (Interessenten sende ich den Vortrag gerne zu. Meine E-Mail: ferdi.klein2@gmail.com).

Gorbatschows Botschaft an die Welt

Ich merke gleich einleitend an, dass mich die Lebenserinnerungen von Michail Gorbatschow „Alles zu seiner Zeit“ innerlich bewegen. In diesem Werk setzt er sich mit seinem Lebens-Sinn auseinander. Er sagt: „Wir sind gebrannte Kinder, der Krieg hat auch unserem Charakter und unserer ganzen Weltanschauung den Stempel aufgedrückt“. Gorbatschow fand trotz lebensbedrohender Widerstände und leidvoller Erfahrungen seinen Lebens-Sinn in der Befreiung der sowjetischen Gesellschaft vom totalitären System und er zeigte anderen Ländern den Weg zur Freiheit und Demokratie. Am Schluss vermerkt der große Politiker bescheiden: „Ich hatte das Glück. Ich habe an die Türen der Geschichte geklopft und sie taten sich auf…“.

Diese Worte weisen auf ein sinnerfülltes Leben eines Verantwortungsethikers hin, die ich mit dankbarem Staunen und ehrlicher Bewunderung wahrnehme. Gorbatschow hat mit tiefer Sehnsucht im Herzen in jeder Situation einen konkreten Sinn aufgespürt und danach gehandelt und sich nicht durch den Beifall der Anderen bestechen lassen.

Sinnzentriertes Gespräch mit den Frauen des Einsiedler Literaturkränzchens

Dem Gespräch lag der Text, „Auf dem Weg zu einem sinnerfüllten Leben“ zugrunde, den die Frauen schon Tage zuvor bekamen. Er griff Gorbatschows Gedanken auf und versuchte diese aus der persönlichen Perspektiv der Teilnehmerinnen zu vertiefen. Wir sprachen weit über den gesetzten Zeitrahmen von drei Stunden. Frau Stupák, Leiterin des Literaturkränzchens, schrieb meiner Frau und mir am 10. März 2015: „Liebe Hanka und Fredi! Es war damals schön, auf so einen Nachmittag kann man weiter bauen! Mit herzlichen Grüßen und mit den besten Wünschen von allen unseren Frauen. Ilse“.

Anna Mitríková antwortet auf die Sinnlosigkeit des Krieges

Als persönliches Beispiel zitiere ich nun Anna Mitríková, die auf die Sinnlosigkeit des Krieges ihre persönliche Antwort gab: „Lieber Fredi, geehrter Herr Professor, ich schicke Dir meinen Beitrag. Benutze das, was Du für nötig ansiehst. […] Den Text „Auf dem Weg zu einem sinnerfüllten Leben“ habe ich mehrmals studiert und möchte auch etwas dazu sagen. Ich weiß nicht, ob jemand auf meine Lebensgeschichte neugierig ist, denn ich gehöre nicht zu den Vertriebenen, aber zu den Gebliebenen.

Zur Evakuierung waren ich und mein älterer Bruder schon im September 1944 vorbereitet. Die Mutter schickte uns aber zu ihren Bekannten bei Prešov ins Dorf Žipov, wo wir zwei Wochen waren. Bald mussten wir alle, das heißt die ganze Familie, das Haus verlassen und wir kamen vor Weihnachten wieder zu Hause an […].

Die zweite Katastrophe kam im Jahre 1946 als uns das Vertreiben drohte. Den Beamten sagte meine Mutter, dass unser Zuhause in Göllnitz ist, sie können uns alle erschießen, wir bleiben zu Hause. Vielleicht war unsere Situation deshalb so schwer, weil unser Vater nicht mehr lebte. Zwischen den Beamten und Polizisten waren auch Bekannte und sie wussten, dass meine Mutter mit fünf Kindern nur schwer die Vertreibung überleben würde. So sind wir zu Hause geblieben, hatten aber keine Staatsbürgerschaft und das ganze Eigentum wurde konfisziert. […]

Wenn ich über den eigenen Lebenssinn nachdachte, so war mir klar, dass ich auch zu den bezeichneten Kriegskindern gehöre oder wie es auch Gorbatschow genannt hatte, zu den ‘gebrannten Kindern‘.

Ich selbst hatte als Kind keine Tür vor dem Leben geschlossen. Über den Sinn meines Lebens hatte ich damals nicht nachgedacht. Die schreckliche Situation des Krieges, der Vertreibung konnte ich nicht verstehen. […]

Ich kam in die slowakische Schule, hatte aber Glück, dass ich in der Nachbarschaft drei slowakische Mädchen hatte und ihre Lesebücher kannte. So besuchte ich drei Monate die vierte Klasse. Fast alles lernte ich auswendig, denn ich wollte den slowakischen Kindern gleichen. Mein Lebenssinn war, sie auch zu übertreffen. In der fünften Klasse war es schlecht. Der Lehrer terrorisierte alle deutschen Kinder, immer waren wir Germanen. […]

Ich unterrichtete schon einige Jahre, aber es tat mir immer leid, dass ich alles von meiner Kindheit vergessen hatte, so wollte ich extern die deutsche Sprache studieren. Vom Schulamt habe ich dafür keine Bewilligung bekommen. Es wurde mir gesagt, dass man Göllnitz abgermanisieren muss. Trotzdem studierte ich vier Jahre. Zur Staatsprüfung wurde ich zugelassen. Vielleicht habe ich damals einen von meinen Lebenssinnen erfüllt. Zu den wichtigsten aber gehörte meine Familie und meine Arbeit […].

Viele Jahre unterichtete ich und niemand hatte etwas gegen mich. Erst als ich Direktorin der „Schule in der Natur“ (vergleichbar einem Schullandheim; F. K.) wurde, kamen anonyme Briefe, dass ich ein germanisch-faschistisches Element bin. Zum Glück arbeiteten auch am Schulamt schon verständige Leute und ich war Direktorin bis zu meiner Rente.“

Fazit

Meine Antwort: „Liebe Anna, Deine E-Mail ist ein redliches und ehrliches Dokument. Es zeigt, wie Du das Leben zum eigenen Wohl, zum Wohl Deiner Familie und für das Wohle vieler junger Menschen gelebt hast und heute lebst. Deine anschaulichen Worte zum Lebenssinn sind ein wichtiges Dokument. Es lehrt uns wie die Daheimgebliebenen ihr Leben trotzdem gemeistert und „Ja“ zu ihrem Schicksal gesagt haben […]“.

Anna hat als einzigartige und einmalige Person auf die Sinnlosigkeit des Krieges und seine Folgen mit ihrem persönlichen Lebens-Sinn geantwortet.

Prof. Dr. Dr. et Prof. h.c. Ferdinand Klein