„Filzen hat für mich einen meditativen Charakter“
Svitlana Lomonosowa kommt ursprünglich aus Kiew, aber seit mehr als einem Jahr lebt sie mit ihrer Familie in der Slowakei. Bereits vierzehn Jahre befasst sich Svitlana mit einem Handwerk, das man Filzen nennt. Aus Wolle schafft Svitlana nicht nur Bilder oder Schmuck, sondern auch Kleidung, Rucksäcke und Dekoobjekte. Im Karpatenblatt-Interview erzählt sie über ihren Weg in die Slowakei, ihr Leben in der Ukraine und sie verrät uns, welchen Ruf Filz in der Ukraine und in der Slowakei hat.
Guten Tag, Svitlana. Sie leben seit Sommer 2021 in der Slowakei. Warum haben Sie dieses Land zum Leben gewählt?
Das war wirklich eine interessante Geschichte. Mein Mann organisiert für uns ein Mal pro Jahr eine Reise – nämlich im August, wenn wir den Jahrestag unserer Hochzeit feiern. Meistens war das eine romantische Reise ohne Kinder. Damals hatte er einen Urlaub in den Karpaten geplant. Aber stellen Sie sich vor, plötzlich waren wir statt in den Karpaten am Flughafen, wo ich erfahren habe, dass wir nach Österreich fliegen. Wir haben Wien und Hallstadt besucht und ich war einfach glücklich und verliebt. In Wien hat ein Mann aus Preßburg/Bratislava für uns eine Stadtführung gemacht und er hat uns empfohlen auch Bratislava zu besuchen. Juraj, dieser Stadtführer, hat mir die Slowakei und Bratislava eröffnet, das so eine vorteilhafte Lage hat. Mich und meinen Mann hat diese Information einfach gefesselt, weil wir beide sehr gern reisen.
Als wir wieder zu Hause angekommen sind, wo wir einen E-Shop mit Vintage-Kleidung hatten, haben wir überlegt, wie wir unser Geschäft im Ausland weiterführen könnten. Dann hat mein Mann gesagt, dass wir die Arbeit mit dem E-Shop auch in der Slowakei machen könnten. Und ein paar Monate später waren wir in Bratislava. Ich möchte betonen, dass wir keine Pläne hatten, die Ukraine für immer zu verlassen. In Kiew haben wir keine Immobilien verkauft und bis zum Beginn des Krieges sind dort auch meine Tochter und meine Mutter geblieben. Seit dem 24. Februar lebt meine Tochter mit uns in Bratislava. Meine Tochter wollte die Ukraine überhaupt nicht verlassen. Es war ziemlich schwierig, sie zu überzeugen, dass es gefährlich ist, in der Ukraine zu bleiben. Aber Gott sei Dank ist jetzt meine gesamte Familie bei mir in Sicherheit. Darüber bin ich sehr froh.
Svitlana, wann haben Sie eigentlich mit dem Filzen angefangen?
Vor vierzehn Jahren habe ich meinen Sohn entbunden und parallel dazu habe ich mit dem Filzen angefangen. Handarbeit war immer Teil meines Lebens. Meine Mutter hat sehr gut genäht und ich habe deswegen meine ganze Pubertät über viel gestickt und meine Werke auf dem Andrijivsky uzviz (die Andrijivska-Straße in Kiew) neben den Werken anderer Kunsthandwerkerinnen ausgestellt. Später, als ich als Buchhalterin gearbeitet habe, habe ich mich immer nach der Arbeit nach Hause beeilt, um etwas mit den Händen zu machen, mir etwas Schönes auszudenken. Handarbeit ist einfach ein großer Teil von mir. Vor vierzehn Jahren haben wir zu Hause eine Internetverbindung bekommen. Ich habe dann online nach neuen Ideen gesucht. Und so habe ich das erste Mal Werke aus Wolle entdeckt. Das hat mich total fasziniert, ich war richtig verliebt. Alle Sachen aus Wolle waren so warm und beseelt. Dann habe ich mir Wolle besorgt und den ganzen Tag nur Kugeln gemacht. Aus den Kugeln habe ich den ersten Schmuck erschaffen. Parallel habe ich in Kiew verschiedene Kurse gefunden und als mein Sohn ein bisschen älter war, ist das Filzen ein echter Beruf geworden.
Sie haben auch für den Karpatendeutschen Verein im Haus der Begegnung in Preßburg/Bratislava einen Workshop zum Thema Filzen gemacht. Dabei haben wir gelernt, dass es verschiedene Arten des Filzens gibt. Welche praktizieren Sie am liebsten?
Meine Lieblingsart des Filzens ist das nasse Filzen. Warum? Mit dieser Art des Filzens kann man große Werke wie Decken, Kleidung, Bilder oder Schuhe machen. Mit dem nassen Filzen kann man einem Werk Volumen geben und auch verschiedene andere geometrische Formen gestalten, zum Beispiel viereckige, dreieckige oder runde.
Mit der Methode des Trockenfilzens kann man eher filigrane Werke herstellen. Aber Schmuck und Spielzeug zum Beispiel kann man sowohl mit der Trocken-, als auch mit der Nassfilzmethode herstellen. Für das Trockenfilzen braucht man eine spezielle Nadel, für das Nassfilzen hingegen nur Seife und Wasser.
Was bedeutet Filzen für Sie persönlich?
Als ich in der Ukraine gelebt habe, habe ich sechs Jahre lang professionell gefilzt. Dann musste ich wegen gesundheitlicher Probleme eine Pause einlegen. Aber jetzt, wenn ich darüber erzähle, verstehe ich nochmal, wie wichtig dieses Handwerk für mich ist.
Jedes Mal, wenn ich Werke aus Wolle gemacht habe, habe ich kapiert, dass ich liebe, was ich mache und dass es ein so großes Glück ist, es zu verstehen. Am Anfang hatte ich sogar Probleme, meine Werke zu verkaufen, weil ich sofort daran gedacht habe, wie man meine Sachen behandeln wird, wie lange man sie tragen wird und so weiter. Ich konnte mich einfach nicht von dieser Sache verabschieden. Aber ich hätte ohne Probleme mein Werk verschenken können. Ich habe dieses Problem dann jedoch überwunden, weil ich auch verstanden habe, dass es mich sonst in meiner weiteren Entwicklung stört.
Filzen hat für mich auch einen meditativen und sehr intimen Charakter. Ich versuche mit Wolle zu arbeiten, wenn ich allein zu Hause bin und kann mich dann zu 100 Prozent auf diesen Prozess konzentrieren. Sehr oft wird schließlich ein Werk erst im Prozess der Arbeit geboren.
Wie beliebt ist das Filzen in der Ukraine?
Als ichmit dem Filzen angefangen habe, hatte ich das Gefühl, dass sich jeder in der Ukraine mit dem Filzen befasst. Aber dann habe ich verstanden, dass das ein Irrtum war. Ich habe mich einfach nur mit Leuten, die sich mit dem Filzen beschäftigt haben, getroffen. Aber tatsächlich ist diese Art der Handarbeit in der Ukraine noch nicht lange in. Ein paar Mal pro Jahr habe ich an Jahrmärkten teilgenommen und die Besucher waren sehr neugierig, was und wie ich meine Werke mache, weil noch niemand vorher etwas über Filz gehört hatte. Ich muss sagen, dass ich und meine Kollegen mindestens fünf Jahre nur Aufklärungsarbeit geleistet haben und das war nicht umsonst – im Vergleich zu den letzten zwölf Jahren kennen jetzt viele Menschen Werke aus Wolle und schätzen sie.
Lange Zeit herrschte in der Ukraine die Meinung, dass man mit dem Filzen nur „Valjanky“, also traditionelle Filzstiefel, herstellen kann. Wie verbreitet ist diese Ansicht heute noch?
Ja, das war lange Zeit so, wie Sie sagen. Immer dann, wenn Leute schöne und filigrane Sachen als Schmuck oder Kleidung aus Wolle gesehen haben, konnten sie es nicht glauben, dass man „Valjanky“ mit der gleichen Methode herstellt. Hüte zum Beispiel stellt man auch aus Filz her, aber in großen Mengen und die Herstellung ist schon sehr aisiert.
Ursprünglich kam der Filz aus Deutschland zu uns, wo viele Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerker aktiv sind. Deutschland ist übrigens auch der größte Produzent von Wolle für das Filzen und das sagt schon viel über den Ruf des Filzes in diesem Land. Meiner Meinung nach ist Deutschland das Land, in dem es gerade die meisten Filzproduzenten gibt und wo man die größte Menge an Materialien hat.
Wie bekannt ist die Technik des Filzens in der Slowakei?
Filz hat in der Slowakei eine gute Zukunft, aber momentan sehe ich keine stark ausgeprägte „Filzwelt“. Ich habe im Netz ein paar Kunsthandwerkerinnen gefunden, die sich mit Filz befassen, obwohl ich noch keine Möglichkeit hatte, sie kennenzulernen. Dass es in der Slowakei so schwierig ist, Wolle zu kaufen, bedeutet auch, dass das Filzen in der Slowakei nicht sehr verbreitet ist und noch Aufklärung nötig ist.
Ihr Workshop im Haus der Begegnung hat sich auch an Geflüchtete aus der Ukraine gerichtet. Was haben Sie dabei gemacht?
Während des Workshops haben wir ein Bild gefilzt, das unsere Ukraine symbolisieren sollte – den friedlichen blauen Himmel und die gelben Weizenfelder. Meine Idee war es, ein großes gemeinsames Werk zu erschaffen, das den Wunsch ausdrückt, wieder ins normale Leben in der Heimat und ins ruhige Leben zurückzukehren. Außerdem hat sich jede Teilnehmerin noch eine Blume gemacht – etwas Mohnähnliches, das zu unserem Bild passt, aber auch einen selbständigen Wert hat. Man kann sie als Brosche benutzen und damit könnten wir uns dann in der Stadt erkennen.
Ich bin mit dem Ergebnis wirklich sehr zufrieden – erstens war das für mich persönlich sehr emotional und zweitens sind viele Teilnehmerinnen gekommen, denen diese Kunst, obwohl sie physisch ziemlich anspruchsvoll ist, sehr gefallen hat. Ich möchte mich an dieser Stelle nochmal beim Karpatendeutschen Verein und dem Institut für Auslandsbeziehungen für diese fantastische Möglichkeit bedanken. In der Ukraine habe ich sehr oft Filzworkshops geleitet, aber hier im Ausland ohne gute Sprachkenntnisse ist es natürlich schwierig. Deshalb bin ich für das Projekt für ukrainische Geflüchtete, das das ifa unterstützt, sehr dankbar.
Liebe Svitlana, ich wünsche Ihnen viel Inspiration, Erfolg und Glück mit Ihrem Handwerk. Und hoffentlich verwirklichen wir noch einmal ein paar gemeinsame Projekte.
Hanna Dubinchak