„Fremde Menschen haben einfach bei mir Vertrauen gefunden“
Ein Projekt des Karpatendeutschen Vereins, das ukrainische Geflüchtete in der Slowakei unterstützt, bringt begabte, interessante und außerordentliche Menschen zusammen. Eine von ihnen ist die ukrainische Multikünstlerin Alyona Futsur. Was sie in der Slowakei macht, womit sie sich momentan beschäftigt und was sie vorhat, verrät Alyona in unserem Karpatenblatt-Gespräch.
Stell dich bitte unseren Leserinnen und Lesern kurz vor.
Mein Name ist Alyona Futsur. Ich bin eine Multikünstlerin und Artcoach. Als Multikünstlerin widme ich mich der Musik, dem Malen, der Fotografie und dem Tanz. Als Artcoach helfe ich anderen Künstlern, die sich in einer Krise befinden, ihr schriftliches und mündliches Potenzial wiederzufinden. Mit verschiedenen psychotherapeutischen Techniken zeige ich ihnen ihre verlorenen Quellen, die sie inspirieren könnten. Momentan versuche ich alle diese Komponenten, die Musik, das Malen und den Tanz, mit meiner therapeutischen Performance zu verknüpfen.
Ursprünglich kommst du aus Mukatschewo in der Westukraine, in die Slowakei bist du aber aus Italien gezogen. Was machst du in der Slowakei und warum hast du dich für dieses Land entschieden?
In Preßburg/Bratislava arbeite ich an der Kunstakademie als Beraterin für Studenten, die ihren künstlerischen Weg suchen. Warum die Slowakei? Das erste Mal war ich vor zwei Jahren in Bratislava zu Besuch. Damals habe ich sehr gut verstanden und gespürt, wie ich die slawische Mentalität vermisse. Slawische Völker haben viel Natur in ihrer Umgebung, die sehr schön mit der Architektur verbunden ist. Außerdem ist die slowakische Mentalität der ukrainischen Seele ziemlich ähnlich, was für mich sehr wichtig ist. Dann habe ich mir gesagt, dass es eine gute Zeit für eine Veränderung ist, und seit Juli 2022 lebe ich hier, in Bratislava, wo auch mein Bruder wohnt.
Was und wo hast du eigentlich studiert?
Meine Leidenschaft waren das Tanzen und die Musik. Aber meine Eltern haben mir gesagt, dass man mit der Kunst in der Ukraine keine echte Zukunft habe. Dann habe ich mir überlegt, was mir noch gefällt und das war Psychologie. Schon als Kind haben andere Menschen mit mir über ihre Sorgen und Probleme gesprochen, sehr oft haben sie mich um Rat gebeten. Fremde Menschen haben einfach bei mir Vertrauen gefunden. Also habe ich in der Ukraine Psychologie studiert und in Genua dann Kunsttherapie. Ansonsten habe ich zehn Jahre als Copywriter für Unternehmen gearbeitet. Jetzt mache ich etwas Ähnliches, aber etwas, was für mich Sinn ergibt. Ich schreibe nämlich Texte für Künstler und helfe ihnen mit ihrer Biografie und den Texten zu ihren Werken und Katalogen. Ich habe schon viele Sachen in meinem Leben gemacht. Ich habe aber keine spezielle Ausbildung, was Fotografie oder Musik betrifft. Ich lerne viel von anderen Menschen und ich brauche nicht viel, um etwas Neues zu lernen. Vielleicht ist das meine Gabe, wofür ich sehr dankbar bin.
Du bezeichnest du dich selbst als Multikünstlerin. Was bedeutet das eigentlich?
Meine Multikunst verbindet Musik, Tanzen, Malen und Fotografie. Als ich Studentin war, habe ich parallel zum Studium Tanzaktivitäten für andere Studenten veranstaltet. Ich habe auch in verschiedenen studentischen musikalischen Wettbewerben teilgenommen. Was die Fotografie betrifft, so wollte ich Menschen vor und nach der Therapie fotografieren und ihnen ihre neue Wiedergeburt zeigen. Die Fotografie diente für mich als Archiv meiner Arbeit. Momentan widme ich mich nicht so sehr der Fotografie, stattdessen male ich meine Kunden. Das Malen, finde ich, geht etwas tiefer als die Fotografie.
In unserer Gesellschaft herrscht die Doktrin vor, die bestimmt, dass beispielsweise dieser Mann ein Fotograf ist, und diese Frau Musikerin. Und wenn du anderen Menschen sagst, dass du sowohl Fotografin als auch Malerin, Therapeutin und auch noch Musikerin bistdann nehmen dich die Menschen nicht ernst. Sie vertrauen dir wenig und das ist wirklich schade. Ich fühle mich gut, wenn ich über mich selbst sage, dass ich Multikünstlerin bin, und ich schäme mich nicht, dass ich alle diese Bereiche beherrsche.
Du hast im Haus der Begegnung des Karpatendeutschen Vereins zwei Workshops durchgeführt. Worum ging es dabei?
Ich hatte das Glück, dass ich im Sommer die Information gefunden habe, dass der KDV ein Integrationsprojekt für ukrainische Geflüchtete organisiert. Dann habe ich mir gedacht, wie toll das klingt und dass ich an diesem Projekt auch teilnehmen will. Letztendlich habe ich im Haus der Begegnung zwei Workshops geleitet. Der erste Workshop war eine expressive Performance, wo wir an unseren nicht verarbeiteten Gefühlen und Energien in unserem Körper gearbeitet haben. Ich bin der Meinung, dass alle Traumata, die Menschen haben, am besten durch unsere Körper gelöst werden können. Beim zweiten Workshop ging es um das Malen. Dessen Zweck war es, zu zeigen, dass jeder malen kann. Das wäre in etwa die Kurzfassung. Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden und ich bin dem KDV für diese Möglichkeit sehr dankbar.
Wie du schon gesagt hast, hast du auch Psychologie studiert. Welchen Einfluss hat Kunst auf unsere Psyche?
Ich bin überzeugt, dass sowohl die Kunst einen Einfluss auf unsere Psyche hat, als auch die Psyche die Kunst beeinflusst. Ich sehe die Kunst als eine Türe, durch die alle auf die gleiche Weise hindurchtreten, aber durch die jeder auf eine unterschiedliche Weise herauskommt. Kunst verändert uns sehr stark. Deshalb verbinde ich gern viele Arten von Kunst in meiner Psychotherapie. Ehrlich gesagt, ist der Begriff Psychotherapie in unserer Gesellschaft noch immer tabuisiert. Für Menschen ist es einfacher zu sagen, dass sie eine expressive Performance besuchen, als eine Psychotherapie. Deshalb ist die Kunst in Verbindung mit theoretischen Erkenntnissen das beste Heilmittel, welches die Menschheit kennt und nutzt.
Alyona, verrätst du unseren Leserinnen und Lesern noch, woran du im Moment arbeitest?
Ich arbeite gerade an meiner Musik. Ich verknüpfe elektronische Musik mit dem Spiel auf dem Keyboard. Mein großes Ziel ist es, bis Ende des Jahres ein Album zu erschaffen. Meine Musik hat meistens einen sehr ruhigen Charakter, wodurch ich sie für meine Performances und andere Therapiestunden benutzen kann. Wenn ich es einfacher sagen soll, dann möchte ich meine Musik zu einem fast schweigsamen Coach machen, deshalb gebe ich viele meiner persönlichen Gefühle in meine Musik.