Geschichte wurde in Geschichten lebendig
Am 8. September 2023 haben wir anlässlich des Gedenktages der Opfer des Holocaust und der Rassengewalt mit Schülern der Hotelfachschule Hohe Tatra/Vysoké Tatry Namen der Holocaust-Opfer verlesen. Natália, Klaudia, Kristián und Tadeáš von der Geschichts-AG „Vergessene Geschichte der Region unter der Tatra“ haben sich so an der slowakeiweiten Veranstaltung „Unvergessene Nachbarn“ beteiligt, die bereits zum dritten Mal stattfand.
Nach einer Gedenkfeier, die in den schönen Räumlichkeiten des Rathauses von Zipser Neudorf/Spišská Nová Ves stattfand, begaben wir uns auf den Marktplatz. Dort enthüllten Bürgermeister Ing. Pavol Bečarik und die Nachkommen der Familien von Dávid Zinner und Marta Rosenthalová, geb. Löw, Stolpersteine, um an diejenigen zu erinnern, die während des Zweiten Weltkriegs sinnlos und grausam ermordet wurden. Die Geschichten dieser Familien haben uns Schüler des Gymnasiums in der Školská-Straße vorgelesen. Wir hatten die Möglichkeit, bedeutende Menschen wie Prof. RNDr. Denisa Nikodémová, PhD., Raphaela Fuchs Kishinevsky und PhDr. Jana Teššerová, deren Leben tief von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs geprägt sind, persönlich zu treffen. Jüdische Tote haben keine Gräber. Ihre Gräber sind unsere Erinnerungen. Deshalb dürfen wir ihre Lebensgeschichten nicht vergessen.
Persönliche Erinnerungen und Begegnungen
Mit der siebzehnköpfigen Familie von Raphaela Fuchs Kishinevsky hatte ich bereits zum zweiten Mal die Gelegenheit, einen Tag zu verbringen. Am folgenden Samstag begaben wir uns in Begleitung von Marek Leskovjanský und seinen Kollegen in die wunderschöne Natur des Slowakischen Paradieses und folgten den Spuren von Raphaelas Ehemann Peter Zinner. Der damals erst sechsjährige Peter musste sich zusammen mit seiner Mutter Alicka und Verwandten, aber auch mit unbekannten Menschen, von August 1944 bis Ende Februar 1945 in einem Bunker in der Gegend des Wasserkraftwerks Klauzy verstecken. Dank der Hilfe bereitwilliger Menschen gelang es so, vierzehn Leben zu retten. Deren Nachkommen kenne ich heute persönlich. Und wie erinnert sich Raphaelas Sohn Yaron an seinen Besuch in der Slowakei? „Ich bin Jude, Zionist, aus Israel stammend, und manchmal brauche ich dieses Gedenken. Warum? Der Besuch der Stadt, in der mein Vater aufgewachsen ist, die Treffen auf dem renovierten jüdischen Friedhof, ein Ausflug zum Bunker, in dem mein Vater mit seiner Familie Schutz gesucht hat (…) all das weckt Gefühle, die nur schwer in Worte zu fassen sind, weil sie sehr intensiv sind.“
Es war eine aufregende Familienreise für Raphaela, ihre Kinder und ihre Enkelkinder. „Der Großvater fehlt uns sehr“, erinnerte sie und bedankte sich bei den Schülern, die unter der Leitung von Dr. Ružena Kormošová im Rahmen eines Projektes ihre Familiengeschichte erforschten und kennenlernten. Bereits zum zwanzigsten Mal war Raphaela in die Slowakei gereist. Mit den Worten „Mögen wir gute Menschen sein“ verabschiedete sie sich von uns.
Gedenken in Deutschendorf
Auch am 12. September 2023 haben wir in einer Fachschule in Deutschendorf/Poprad die vergessene Geschichte wieder zum Leben erweckt. Die Schüler des vierten Jahrgangs der Hotel-Fachschule Hohe Tatra – Dávid Pružinský, Jana Budzáková und Adrián Andráš – lasen Auszüge aus den bearbeiteten Geschichten von Klára Lustbáderová, Magda Höflichová und den Brüdern Pavel und Gejza Spitzer. Nach der Präsentation begaben wir uns gemeinsam mit den Schülern und Lehrern auf das Gelände des jüdischen Friedhofs in Deutschendorf, wo wir weiße Steine auf die Gräber legten, um an die Menschen zu erinnern, die hier einst in dreisprachiger Harmonie und gegenseitiger Toleranz gelebt hatten. Einige waren das erste Mal hier, aber sicher nicht das letzte Mal. Der jüdische Friedhof birgt eine reiche Geschichte. Er ist wie ein Geschichtsbuch der Region. Jeder von uns ist anders und doch sind wir alle gleich.
Mgr. V. Andraš
Lehrer der Hotel-Fachschule Hohe Tatra