Grulntee/Kartoffeltee

Kartoffeltee aus Forberg

Wenn im Winter endlich das Korn gedroschen war und das Holzschleppen mit den Pferden in den unwegsamen Tatrawäldern immer schwieriger wurde, weil zu viel Schnee lag, war die Faschingszeit angebrochen. Das hieß: Die Familienväter konnten sich etwas Zeit zum Feiern nehmen und ein Gläschen Kartoffeltee genießen.

In Forberg/ Stráne pod Tatrami gab es, wie in den meisten Orten der Zips, eine Bruderschaft. Sie stammte aus sehr alten Zeiten und diente wohltätigen und gemeinnützigen Zwecken der Dorfgemeinschaft. Die Mitglieder („Brüder“ genannt) waren nur verheiratete Männer. Einmal im Jahr wurde beim „Brudervater“ dem gewählten Vorsitzenden, die „Bruderlade“ abgeholt und feierlich durch das meist verschneite Dorf in den großen Gemeindesaal im „Gewölb“ zu einer festlichen Mitgliederversammlung gebracht.

Furberg in der Hohen Tatra

Forberg liegt am Fuße der Hohen Tatra, des kleinsten Hochgebirges der Welt. (©stranepodtatrami.sk)

Kartoffeltee: Wärmendes Getränk, das für Stimmung sorgt

Zur gleichen Zeit wurde der Grulntej zubereitet. In drei riesengroßen Kesseln, die sonst nur beim Schweineschlachten Verwendung fanden, hat man unter ständigem Rühren nacheinander auf dem Herd Zucker zu Malz gebräunt. Wenn eine bestimmte Bräune des Zuckers erreicht war, wurden auf diese heiße Masse etwa fünf Liter klarer, vierzigprozentiger Kartoffelschnaps gegossen. Bei stetigem Weiterrühren mit dem großen Holzlöffel wurde der Malzzucker aufgelöst und das ganze zum Kochen gebracht. In diesem Moment wurde der Kessel vom Herd genommen, sofort zugedeckt und zum Abkühlen kurz beiseite gestellt. Kurz danach hat man das noch heiße, kräftig duftende Getränk in Trinkgläser abgefüllt. In den Gläsern auf den Serviertabletts sah die Flüssigkeit appetitlich, dunkelgoldgelb glänzend und genau wie Tee aus. Der „Grulntej“ (Kartoffeltee) war fertig! Schon beim Anblick der wohlriechenden vollen Gläser kam heitere Stimmung auf.

Mittlerweile kam in der Küche der zweite Kessel an die Reihe und die gleiche Prozedur wurde wiederholt, während man den warmgehaltenen Rest aus dem ersten Topf ausgeschenkt hatte. Zwischendurch musste die Küche gründlich gelüftet werden, weil man sonst vom Alkoholdunst auch einen Schwips bekommen konnte.

Grulntee/Kartoffeltee

Eine Spezialität in Forberg am Fuße der Hohen Tatra: der Grulntee

Ablenkung von alltäglichen Sorgen

Bei dieser guten „Teeversorgung“ konnten sich die Herren „Brüder“ bis tief in die Nacht hinein, die alltäglichen Sorgen vergessend, bestens unterhalten.

In Forberg wurde früher, etwa bis zum Ersten Weltkrieg, aus den vielen, qualitativ hochwertigen Kartoffeln, die dort geerntet wurden, Schnaps gebrannt. Die Bezeichnung „Gruntej“ stammt wohl aus jenen Zeiten, als man die Alkoholmehrproduktionen über das zulässige Kontingent hinaus wahrscheinlich als „Tee“ bezeichnet hat. Die Brennerei befand sich nur etwa drei Häuser vom Gewölb weiter unten auf dem Hof der Familie Schwarz. Später wurden die Spirituosen in Zipser Bela bei der Firma Desider Greb eingekauft, wo bis 1945 der berühmte „Bejlersche Borowitschka“, kein Wacholder, sondern ein Anis-Fenchel-Schnaps hergestellt wurde.

Erwin Eiben

 (aus „Sitten und Bräuche der Karpatendeutschen“, Stuttgart, 2000)