Künstlerisches Gestalten dient dem Frieden

Künstlerisches Gestalten dient dem Frieden

Gerade in einer Zeit, die uns an existentielle Grenzthemen führt und herausfordert über Leben und Tod nachzudenken, ist der freie schöpferische Blick geboten, den uns das künstlerische Gestalten ermöglicht.

Mein langjähriges Nachdenken über Wissenschaft und Praxis der Erziehung und Bildung, auch zusammen mit Professoren aus Gesellschaft und Politik, führte mich zu dem altgriechischen Wort „therapeia“. Therapie verstehe ich als Dienst und Hilfe für den anderen Menschen, der gerade bei Krankheit oder seelischen Verletzungen (Traumata) helfende Hände benötigt. Das Nachdenken über diesen Dienst, der auch aus der Ideengeschichte des Menschen begründet wird, führte mich zum Jahrhundertkünstler Joseph Beuys. Der Kunsttheoretiker Beuys praktizierte die Kunst als Quelle schöpferischer Energie, die jedem freien Menschen innewohnt.

Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass sich die Menschen früher in der Kunst ausgedrückt haben, weit über die Theorie (Urteilen, Verstand) und Praxis (Handeln, Wille) hinaus offenbarte sich ihnen wer sie waren, aus welchen inneren Kräften sie lebten und schöpften: Kunst ist ein beglückendes Wahrnehmen und Schaffen von Gestalten. Deshalb bedürfen Theorie und Praxis der Ergänzung und Vertiefung durch die Kunst, die aus der Herzmitte kommt und dem friedlichen Mit- und Füreinander dient. Geboten ist das Versenken in den Gegenstand des Erkennens, um das aus der Herzmitte zu gestalten, was mit- und füreinander zu schaffen ist.

Das zeigen viele Beiträge im Karpatenblatt. Auf vier Beispiele, die wir im Karpatenblatt 3/2023 und 4/2023 finden, weise ich kurz hin. Ich erinnere an:

  •  die Ausstellung „Gemeinsam statt einsam“ im SNM-Museum der Kultur der Karpatendeutschen, die uns anschaulich zeigt,wie ästhetisch-künstlerisches Gestalten dem Frieden dienen kann;
  • das Seminar in der Hlboká-Schule in Preßburg, das uns zeigt, wie jedes Kind aus seinen veranlagten Kräften heraus etwas Schönes mit Freude gestalten kann;
  • die ukrainische Multikünstlerin Alyona Futsur, die uns feinfühlend darauf aufmerksam macht, wie die Kunst auf die Psyche, auf das innere Erleben des Menschen einwirkt;
  • die Regisseurin Barbora Berezňáková, die uns in die Welt der Kunst mitnimmt und offenlegt, wiewir unsere Welt zum Guten, zum friedlichen Miteinander (um)gestalten können.

Diesen Beispielen füge ich ein weiteres an. Ich nahm mit meiner Frau Hanka am 22. April an der Eröffnung einer Ausstellung mit Aleksandra Klitina, Künstlerin und Politik-Journalistin aus Kiew, teil. Die Vernissage beim Kunstverein Bad Aibling (Bayern) war mit traurigen, aber auch mit fröhlich-rhythmisch gestalteten Liedern von drei geflüchteten jungen Ukrainern umrahmt. Diese Volkslieder repräsentierten heimatliche Kunst.

Aleksandra Klitina versteht Ihre Malkunst als Werkzeug für ein friedliches Miteinander. Starkfarbige Bilder in Öl auf Leinwand weisen uns eindringlich auf die Gefährdung des Friedens hin.

Was sagen mir diese Beispiele und Bilder?

In der friedlosen Welt ist es mir und dem Mitmenschen in der multikulturellen Gesellschaft aufgegeben, den (ge)rechten Weg zu finden. Dabei geht es nicht um große Worte, sondern um grundlegende Fragen des Menschsein, die in der Tiefe des Menschen schlummern und uns kleine Kinder lehren. Mit vielen Menschen aus Wissenschaft und Praxis teile ich den Gedanken, dass diese durch die Um- und Mitwelt noch unverdorbenen Kinder unsere Lehrer sein können. Sie stellen mit ihrer schier unbegrenzten Phantasie ganz ursprüngliche Fragen, die wir wertzuschätzen haben. Warum wohl? Weil die Kindheit das eigentliche Stadium des schöpferischen und freien Denkens ist, den uns der Raum der Kunst für ein friedliches Miteinander ermöglicht.

Es geht hier nicht um das selbstbezogene große Ich mit seinem Streben nach Anerkennung und Ansehen. Es geht vielmehr im Medium der Kunst um das Du, um den anderen Menschen, der erst aus dem freien Begegnen von Ich-und-Du den eigenen schöpferischen Weg findet. Das lehren mich die Beispiele aus dem Karpatenblatt und das Beispiel, das ich in meiner zweiten Heimat, nämlich in Bad Aibling, erlebte.

Ferdinand Klein