Liebe geht durch den Magen!
Diese alte Volksweisheit gilt nach meinen Erfahrungen auch für die Liebe zur Heimat. Meine Heimat ist Einsiedel in den Zipser Gründen, die ich zwar mit der Familie 1944 als Zweijähriger verlassen musste, die aber durch den Einfluss meiner Eltern mir immer Heimat geblieben ist. Sie haben ihre Zipser Lebensart gepflegt und weitergegeben. Selbstverständlich wurde untereinander nur mantakisch gesprochen. Gekocht und gebacken wurde – soweit die Zutaten es hergaben – zipserisch.
Meine Mutter, die für ihre siebenköpfige Familie – darunter vier kleine Kinder – kochen, backen, waschen und nähen musste, unter sehr prekären Verhältnissen, anfangs wohnten wir in eineinhalb Zimmern, war eine begnadete Köchin. Glanzlicht ihrer Backkunst war der „Kremesch“: Mit Vanillecreme gefüllter Blätterteig, dessen Herstellung damals sehr mühevoll war. Heute gibt es den Teig ja vorgefertigt zu kaufen. Wegen des sehr hohen Aufwandes gab es Kremesch nur zu den Geburtstagen. Bei sieben Köpfen war das jedoch verhältnismäßig häufig.
Möglicherweise sehe ich die Kindheit zu verklärt, aber ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen vergleichbaren Kremesch gefunden, obwohl ich alle sich mir bietenden Möglichkeiten genutzt habe, unter anderem in Budapest, Prag, Kaschau. Verblüffender Weise wurde ich in Spanien fündig. In Aranda del Duero, in Kastilien, während meines mehrjährigen beruflichen Aufenthaltes in Madrid, gab es in einem Asador (Restaurant mit Steinofen zum Braten von Schaf-und Ziegenlämmern sowie Spanferkeln) als Nachtisch von der Wirtin höchstpersönlich zubereitete „Milhojas“ (übersetzt: 1000 Blätter). Das ist ja fast der Kremesch meiner Mutter stellte ich erfreut und überrascht fest. Ich kann das nur so erklären: Die von 1504 bis 1700 in Spanien herrschenden Habsburger müssen das Rezept dorthin mitgenommen haben.
Haajaknetchen mit Prieslich
Eine alltäglichere Speise sind die „Haajaknetchen“, slowakisch Halušky, bis heute meine Lieblingsspeise. Zutaten: geriebene Kartoffeln, Mehl, Salz, Käse, Grieben vom Schweinespeck; alles überall erhältlich. Es war die Speise für die hart arbeitenden Berg- und Fuhrleute, Bauern und Handwerker und weniger der Büromenschen. Entscheidend für den Geschmack ist die ausreichende Menge von Grieben. Fürs Auge, aber auch für den besseren Geschmack wird „Prieslich“ (Schnittlauch) darüber gestreut. Wenn Besucher aus der Heimat Brimsen mitbrachten, war das Glück vollkommen: „Brinseknetchen“. In der Nachkriegszeit wurden die Reste auch zu Knetchensuppe verarbeitet. Eine Variante waren Krautknetchen, mit Sauerkraut versetzte Halušky.
Liebe geht durch den Magen, sagte sich auch meine Frau, die die Knetchenzubereitung von meiner Mutter erlernte. So musste ich auf keiner meiner beruflichen Stationen in Deutschland, Brasilien oder Spanien auf diesen speziellen kulinarischen Genuss verzichten, der gleichzeitig auch immer ein Gedenken an die Heimat war und ist.
Aber auch andere Zipser Speisen und Essgewohnheiten hat meine aus Waldeck in Nordhessen stammende Frau übernommen und gepflegt: Zu Ostern (Samstag) werden „Peltschen“ gebacken, Fladen aus Hefeteig, gefüllt mit Quark und Rosinen oder auch mit Kraut. Sie werden beim Verzehr mit gesüßter zerlassener Butter bestrichen. Am Ostersonntag gibt es zum Frühstück gekochten Schinken, hartgekochte Ostereier mit in Essig eingelegten Zwiebeln, dazu eine selbstgebackene „Klootsch“ (Hefezopf). Seltener werden noch die Grammelpogatscherln (mantakisch: Pogatschichen) gebacken. Sie schmecken hervorragend zum Wein und sind dank des hohen Fettanteils lange haltbar. Nicht zu vergessen ist der „Mogenhoan“, eine mit gemahlenem Mohn und Rosinen gefüllte Hefeteigrolle. Nicht beliebt – auch wegen des hohen Kümmelanteils – war bei uns Kindern die „Einprennsuppe“ (Einbrennsuppe), in der neuen Heimat Waldeck auch bekannt als „Schröggelsuppe“, ein offenbar international verbreitetes Arme-Leute- Gericht.
All das ging mir durch den Kopf als ich kürzlich beim Stöbern im Zipser Jahrbuch 1939 der Arbeitsgemeinschaft „Zipser Heimat“, Herausgeber Dr. Johann Lipták, das Gedicht des berühmten Kesmarker Schriftstellers und Pädagogen Friedrich Lám über den Zipser Brinsekuchen entdeckte. Dieser gehörte zwar zum kulinarischen Repertoire meiner Mutter, konnte aber mangels Brimsen in der neuen Heimat nicht zubereitet werden. So blieb er mir unbekannt. Trotzdem hat mich dieses Gedicht stark beeindruckt, weil es humorvoll Heimatliebe aus der Ferne und Küche verbindet.
Friedrich Lám: Der Brinsekuchen
(Nach Robert Burns)*
Das Manna gab im Wüstensand Den Juden Kraft zum Wandern, Weil dieses Himmelsbrot verschwand, Sucht man nach einem andern. Vergebens wirst du in der Welt Ringsum was Bess’res suchen,- Den Preis als beste Speis erhält Der Zipser Brinsekuchen. Was gibt den Zipser Jungen Kraft, Die Berge zu erklettern? Die frohe Kraft, die nicht erschlafft Trotz Schneesturm, Donnerwettern? Für diesen Schatz kann man Ersatz Auf Erden nirgends suchen – Kein fremd Gepatz nimmt weg den Platz Dem Zipser Brinsekuchen! Wer weiß warum der Zipser liebt, Die Heimat in den Fernen? Was seinem Heimweh Flügel gibt Selbst unter schönren Sternen? Ihr könnt den Grund zu jeder Stund Nur in der Küche suchen, Ich mach´ ihn kund mit Herz und Mund: Es ist der Brinsekuchen. |
Text und Fotos: Rudolf Göllner
* Robert Burns, berühmter schottischer Poet (1759-1796). Friedrich Lam hat auch Gedichte von Goethe (Erlkönig, Der König von Thule) und Heine (Loreley) in Oberzipser Mundart parodiert. Ein Hochgenuss! (Friedrich Lam, Unvergessene Heimat, Gedichte aus dem Nachlass, Arbeitsgemeinschaft der Karpatendeutschen aus der Slowakei, Stuttgart 1966, S.132-134.)