Meine Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges
Über den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges wird viel gesprochen, es wird an die Opfer gedacht, Kränze werden niedergelegt. Der 75. Jahrestag hat mich in meinen Erinnerungen in die Zeit ein paar Monate vor dem Mai 1945 versetzt.
Es war Herbst 1944. Ich war im Juni drei Jahre geworden, mein Bruder war ein paar Monate alt. Immer, wenn er weinte, habe ich den Kinderwagen geschaukelt. Unsere Eltern und die Großeltern – mit denen wir zusammen gewohnt haben – hatten viel zu tun.
Sie haben ganz leise gesprochen. Oft waren es Worte wie „Krieg“ und „Front“ oder Fragen wie „Wo kommt das hin?“ oder „Was brauchen wir noch?“ Sie haben etwas in Säcke gepackt, etwas in Kisten gelegt. Dann waren die Säcke zugebunden, die Kisten zugenagelt.
Vor unserem Haus sind „große Autos“ stehen geblieben. Die Kisten haben sie in das erste Auto eingeladen. Die hat aber keiner mehr gesehen. Die Säcke und wir kamen in das andere Auto. Dort waren schon mehrere Leute und mehrere Säcke.
Dass man das ganze „Evakuation“ genannt hat, das habe ich erst später begriffen. Für mich hat damals ein großes Abenteuer begonnen! In so einem großen Auto zum ersten Mal und so weit zu fahren! Das war doch etwas Außergewöhnliches!
Eckwertsheide Kreis Grottkau in Oberschlesien
Das war das Ziel unserer Reise. Was für mich wieder interessant war, das war ein großes Haus, ein großer Garten, viele Leute. Am besten hat mir die Erbsensuppe geschmeckt. Auch jetzt, wenn ich gelbe Erbsen koche, sage ich: „Heute kommt die Eckwertsheidesuppe auf den Tisch.“ Die schmeckt mir noch immer.
Im Februar 1945 haben sie uns vor der Roten Armee aus Eckwertsheide nach Tschechien gebracht. Ein kurzer Aufenthalt war noch in Ottmachau – auch in Oberschlesien. Da sind ein paar Leute dazu gekommen.
Im März 1945 sind wir in Karlsbad-Maierhöfen angekommen. Nach einer Zeit bekamen wir vier ein Zimmer für uns allein. Das war schon schön! Unser Vater hat bei einem Schuster gearbeitet. Er selber war auch gelernter Schuster. Unsere Mutter hat im Haushalt der Familie mitgeholfen. Der Vater hat oft gesagt, dass er bei diesem Schuster auch länger arbeiten könnte, denn nach dem Krieg werden die Leute lieber die alten Schuhe reparieren lassen, als neue zu kaufen. Unsere Mutter wollte lieber nach Hause fahren – zur Familie, in das schöne Einsiedel an der Göllnitz, in die Nähe des Spitzenberges.
Im Herbst 1945 war es so weit
Wir sind mit der Bahn nach Hause gefahren. Ich durfte nicht deutsch sprechen, ich musste still sein. Am Bahnhof in Margecany/Margareten haben uns die Gendarmen erwartet. Sie haben uns zu Fuß in das nahe gelegene Sammellager in Jaklovce/Jeckelsdorf gebracht. Gut, dass für mich auch im Kinderwagen Platz war! Nach einer Zeit sind wir wieder zu Fuß in das Lager Gelnica/Göllnitz – Thurzow gekommen.
Weihnachten 1945 waren wir schon zu Hause, aber es war nur eine Notunterkunft, denn das Haus unserer Großeltern war besetzt. Der Bruder meiner Großmutter hatte zu Hause bleiben können, er war Invalide, so konnten die Großeltern zu ihm einziehen. Sie kamen vor uns nach Hause. Sie wohnten jetzt in zwei Zimmern. Uns haben sie gerne die Küche überlassen und so war die Freude groß. Die getrennte Familie war wieder zusammen!
Weihnachten 1945 haben wir dann gemeinsam – vorne im Zimmer unserer Großeltern – so schön und angenehm wie es nur möglich war, gefeiert. An diese Weihnachten haben wir uns sehr lange erinnert – besser gesagt, fast jedes Jahr.
Ilse Stupák
(geborene Alznauer)