Meine erste Bahnreise
Es gibt „111 Gründe, die Eisenbahn zu lieben“ ist der Titel eines Buches von Friedhelm Weidelich, einem Kenner der Deutschen Bahn und Liebhaber der Eisenbahn überhaupt. Meine Geschichte soll nicht der 112. Grund sein, sie soll aber beleuchten, wie ein Kind zum ersten Mal die Eisenbahn erlebte.
Als ich fast vier Jahre alt war und unsere Familie noch komplett war, bekam ich zu Weihnachten 1943 eine Märklin HO Modelleisenbahn. Ich war natürlich noch zu klein, um damit umzugehen, das besorgte mein Vater. Der Begriff „Eisenbahn“ ist mir aber seither im Kopf geblieben. Meine nächste Begegnung mit der Erfindung von George Stephenson ließ nicht lange auf sich warten.
Anfang Sommer 1944 erfuhr ich als Erwachsener, dass am 16. Juni die Pressburger Ölraffinerie „Apollo“ bombardiert wurde. Am dritten Tag danach nahm uns unsere Mutter zum noch rauchenden Trümmerhaufen der Raffinerie mit und aus sicherer Entfernung sah ich auf einem Rangiergleis einen richtigen unbeschädigten Eisenbahn-Kesselwagen.
Ein Bahnunglück
Weihnachten 1944 war mein Vater bereits nicht mehr dabei. Er war im Krieg. Vor Ostern 1945 verließen wir unser Heim in der Viktor Adler-Straße und fanden am See in Theben/Devínske Jazero an der Bahnstrecke nach Ludenburg/Břeclav Unterschlupf. An einem Tag erfuhren wir, dass an der Strecke ein Wehrmachtseisenbahntransport hält. Partisanen hatten die Strecke beschädigt und der Zug konnte nicht weiterfahren.
Meine Mutter und andere Erwachsene liefen sofort mit uns Kindern hin und siehe da: Dort stand ein Güterzug mit Soldaten, die aus Ungarn kommend hier eine ungewollte Pause machten. Wir Kinder wurden von ihnen mit Süßigkeiten beschenkt und die Erwachsenen plauderten mit ihnen. Auf einmal hörten wir ein Geräusch. Es war ein zweiter Eisenbahntransport auf demselben Gleise. Als klar wurde, dass die Lok nicht anhalten wird, brach unter uns Panik aus. Wir liefen die Böschung hinauf, aber da krachte es auch schon und zwar sehr wuchtig. Wagonteile flogen durch die Luft, die Soldaten schrien, wir waren aber schon weg vom Ort des Unglücks.
Mit der Bahn unterwegs
Die erste Fahrt mit der Bahn erlebte ich dann im eisigen Februar 1947. Da war ich schon sieben. Im Oktober 1946 musste ich als Erstklässler die Schule verlassen und wir kamen ins Lager Engerau/Petržalka. Da sind wir also gelandet die Deutschen, wahrscheinlich auch die Ungarn aus Pressburg. Übrigens, neben dem Stacheldrahtzaun sah ich die Reste der ehemaligen Bahnverbindung nach Wien, die schon nach dem Anschluss stillgelegt worden war. An einem Tag im Februar ging die Nachricht durchs Lager, dass wir von dort aus abtransportiert werden. Das Ziel hieß Lager Nováky.
Wir wurden mit Lastautos zum Hauptbahnhof Bratislava/Pressburg und dort auf einem Nebenbahnsteig in Personenwagons verfrachtet. Unsere Habseligkeiten fanden auf dem Gepäckregal Platz und die Fahrt ging los. Viele von uns verließen Pressburg für immer. Ich drückte meine Nase ans kalte Fenster und schaute in die vorbeilaufende Gegend.
Eine prägende Fahrt
Viele Erinnerungen von der Fahrt blieben mir natürlich nicht im Gedächtnis, sicherlich aber die langsame Fahrt über die Waagbrücke bei Hlohovec/Freistadl, bestimmt standen wir auch in Leopoldov/Leopoldstadt und dann natürlich in Zbehy. Hier machte der Zug auch Halt, um dann nach Jelšovce/Jagerseg abzubiegen und weiter ging es über Topoľčany/Topoltschan, Partizánske, Baťovany nach Nováky.
Todmüde und hungrig stiegen wir in Nováky aus und es wartete noch ein Fußmarsch ins Lager auf uns. Im Lager angekommen, wurden wir in die Baracke Nummer 6 eingeteilt und die erste Nacht schliefen wir auf Stroh am Boden. Das hat aber mit der Eisenbahn nichts zu tun. Als ich dann viel später bei der Fahrt nach Topoľčany in Zbehy auf den D-Zug Bratislava-Prievidza/Priwitz von Nitra/Neutra kommend umstieg, kehrte diese erste Reise per Bahn wieder in meine Erinnerung zurück.
Gustav Güll