Karol Frech Bratislava Pressburg 1945

Meine Stadt gegen Ende des Krieges

Liegt eine liebe, alte Stadt an einem alten Strom. Ihr Diadem ein Königsschloss – ihr Herz ein alter Dom. Und ihre Seele, das war´n wir. Ach ist sie fern… als läg´ die liebe, alte Stadt auf einem andern Stern. Und dennoch liegt sie Stein um Stein in unsrer warmen Brust, darum habe ich den Weg zu ihr zurück gewusst. (Marianne Freisleben)

Wir Pressburger sind dankbar für dieses Erbe und mit Stolz zeigen wir den vielen Besuchern aus aller Welt unsere Heimatstadt, die unsere Vorfahren gebaut, gehegt und gepflegt haben, die gute, aber auch viele schwere Zeiten erlebt hat. Es gab Kriegswirren, Seuchen, Überschwemmungen, Feuersbrünste aber auch Königskrönungen, viele Festlichkeiten, Besuche gekrönter Häupter, Aufbau und Eröffnung des neuen Stadttheaters.

Für uns sind besonders die Zeit des schrecklichen Zweiten Weltkrieges und seine Folgen noch in lebendiger Erinnerung. Wenn wir uns an die vielen zerbombten Städte des Zweiten Weltkrieges erinnern, so sagen wir, dass dies wohl als ein Wunder anzusehen ist. Dabei ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Pressburg die Wirren dieses Krieges relativ unversehrt überstanden hat. Wurde doch Pressburg so wie Budapest und viele andere Orte zu einer Festung erklärt. Das hätte unweigerlich zur Zerstörung der Stadt führen und viele (vielleicht tausende) Todesopfer fordern können. Dass den Bewohnern unserer Heimatstadt solche schrecklichen Erlebnisse erspart geblieben sind, davon spricht der folgende Tatsachenbericht einer an diesen Geschehnissen beteiligten Familie.

Lassen wir ein Mitglied, Frau Dr. Daniela Žemlová geb.Vaničková Z. dieser (damals jungen) Familie zu Wort kommen: „In den Tagen der Besinnung vor den Osterfeiertagen erinnere ich mich an die Geschehnisse zu Ostern 1945. Eigentlich wurde ich erst zwei Monate später geboren, aber aus den damaligen Gesprächen meiner Eltern stelle ich meine damaligen Erlebnisse und Gefühle zusammen. Meine Aufzeichnungen beschreiben Bruchstücke eines Soldatenschicksals im April 1945 und die fatale Zwangslage der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Diese Situation wurde nach mehr als 68 Jahren aus familiären Erinnerungsfragmenten zusammengestellt. Zu diesem Bericht komme ich aus meiner christlichen Überzeugung im Sinne des Psalms 178, V.17: Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herren Werke verkündigen.“

Die Festung Pressburg

Pressburg wurde am 14. Dezember 1944 noch gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zur „Festung Pressburg“ erklärt. Man wollte trotz der bekannten militärischen Stärke der alliierten Streitkräfte Bratislava nicht kampflos an die sowjetische Rote Armee abgeben. Man hatte den „totalen Krieg“ proklamiert, es musste bis zum letzten Mann, bis zur letzten Patrone sinnlos gekämpft werden. Viele Gebäude, auch in der historischen Innenstadt, wurden bei „vermutlich“ strategischer Bedeutung sogar in bunkerartige Verteidigungsstellen umgewandelt.

Bratislava Pressburg Zweiter Weltkrieg
Die Burg im Jahre 1945 vom Donauufer aus ©wikipedia/ Peter Zelizňák

Während der letzten Kriegsmonate standen die schon nicht mehr voll einsatzfähigen Truppen in der Hauptstadt unter dem Befehl des Festungskommandanten Oberst Dr. Conrad von Ohlen und Adlerscron (geboren am 6.10.1896) und er bezog sein Hauptquartier in der Heeresmission unterhalb des Slavin und einen nahestehenden Bunker.

Vorbereitungen beim Bunker

Hier beginnt der Abschnitt der Begebenheiten in den weiteren Wochen. In dem neu errichteten Familienhaus gegenüber dem Bunker bereitete sich der Führungsstab des Befehlshabers über den ausgebreiteten militärischen Landkarten auf den naheliegenden Angriff der Roten Armee vor. Alle bedeutenden Gebäude in der Stadt waren inzwischen unterminiert und durch ein Zündsystem miteinander verbunden. Bei entsprechender Befehlserteilung konnten in einem Augenblick gleichzeitig alle dafür vorgesehenen Häuser gesprengt werden, um ein rasches Vordringen der sowjetischen Soldaten zu verhindern. Noch vor dem Ausbrechen der entscheidenden Kämpfe legten die Soldaten jeden Abend rund um das Haus Dynamitstangen, die dann mein Vater am nächsten Morgen einsammelte und in einer Tasche zurücktrug.

Die Soldaten, die auf einen entscheidenden Schlag warteten, schauten meiner Mutter zu, wie sie noch im Garten einige Bäume pflanzte und kommentierten das mit den Worten: „Eine solche Hoffnung möchten wir auch haben.“ Darauf antwortete meine Mutter: „Ich habe die Zuversicht noch nicht verloren.“

Als der Krieg für unser Land seinen Höhepunkt erreichte und die Kämpfe unmittelbar bevorstanden, forderte der Kommandant meine Eltern auf, das Haus zu verlassen, denn im Falle eines Angriffes müsse das Haus gesprengt werden, da es die Aussicht vom Bunker auf die bevorstehende Frontlinie behindere. Mein Vater war ein tiefgläubiger Mann, der fest an den Segen über sein Werk glaubte. In das Fundament des Gebäudes hatte er eine Metallhülse mit einer Papierrolle einmauern lassen, auf der zwei Verse des 127. Psalms geschrieben waren: „Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst die, die daran bauen – wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Hüter umsonst.“ Und aus dieser Zuversicht entschloss er sich, das Haus nicht zu verlassen. Die junge Familie des Hauseigentümers bewohnte nun die Kellerräume mit ihrer einjährigen Tochter, das zweite Kind sollte in zwei Monaten das Licht der Welt erblicken.

Der Krieg war eigentlich schon verloren

In der Karwoche herrschte noch eine relative Ruhe. Die Bewohner jedoch befürchteten einen erbitterten Kampf. In den Kirchen wurden noch Gottesdienste in deutscher Sprache gehalten, aber es gab viele, die versuchten, noch im letzten Augenblick die Stadt zu verlassen. Nach einer gewiss durchwachten Nacht leitete der Befehlshaber am 1. April bei Sonnenaufgang die letzte Zusammenkunft seines „Pressburger Befehlsstabes“. Als Offizier wusste er, dass der Traum von einem „Endsieg“ vorbei sei. Er wusste, dass es nur er war, der das Schicksal dieser kleinen jungen Familie wie auch der Bewohner dieser Stadt in den Händen hat. Er erkannte, was wichtiger war Soldatenehre oder christliches Handeln.

Als gläubiger Christ erkannte er seinen einzig möglichen Entschluss: Er widerrief die allgemeine Mobilisierung und in der Nacht vom Ostersonntag auf Montag verließ der deutsche Festungskommandant Oberst Conrad Freiherr von Ohlen mit seinem Stab den deutschen Bunker in Pressburg in Richtung Marchfeld, wo viele der Beteiligten dieser letzten Kämpfe wegen „Fahnenflucht“ zum Tode verurteilt wurden.

Angeblich gab es Erschießungen, aber wie durch ein Wunder soll Oberst Conrad Freiherr von Ohlen überlebt haben. In seiner Heimat wurde er jedoch als Deserteur geächtet und starb im Alter von 85 Jahren in Daisendorf am Bodensee.

Überraschung am nächsten Morgen

Als die Bewohner am Donauufer erwachten, konnten sie ihren Augen kaum trauen. Die Stadt war unversehrt, alle zur Sprengung vorgesehenen Gebäude hatten überstanden. Die Stadt wurde somit fast kampflos befreit. Es gab noch einige kleinere Gefechte in der Stadt und die deutschen Soldaten haben vor ihrem Abmarsch noch die einzige Donaubrücke gesprengt. Aber ansonsten konnte die Sowjetarmee ihren Standort in der Umgebung der Burg kampflos besetzen.

Damit war der Krieg für Pressburg zu Ende. Aber für die ursprünglich deutsche Bevölkerung begann eine Zeit unsäglichen Leides von Verfolgung, oft lange andauernden Internierungen und Vertreibung.“

Soweit dieser Bericht. War es Gottes Fügung, die dazu führte, dass unsere Stadt vor dem Schicksal so vieler Städte bewahrt wurde? War es der mutige Entschluss des Festungskommandanten, als er sich entschied, seine christliche Pflicht der sogenannten Soldatenehre vorzuziehen? War es die kleine, junge Familie, die ihn dazu führte? Eine Mahnung an uns alle: kleine, unbedeutende Ereignisse können oft Großes bewirken!

(st)