Mit Goethe über das ewige Leben nachdenken

Zu Allerseelen, dem Tag des Gedenkens an die Verstorbenen, versuche ich einen Denkanstoß mit Johann Wolfgang von Goethe, dem deutschen Dichter und Naturforscher, der als einer der bedeutendsten Schöpfer deutschsprachiger Dichtung gesehen wird, zu geben.

Goethe sprach bei einer Ausfahrt zu Eckermann mit großer Heiterkeit: „Wenn einer 75 Jahre alt ist, kann es nicht fehlen, dass er mitunter an den Tod denke. Mich lässt dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Überzeugung, dass unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur; es ist ein Fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die bloß unseren irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet.“ Mit diesem Vertrauen in die Geistigkeit des Menschen kann Goethe gelassen und ruhig vom Tod sprechen, der für ihn die letzte Verwandlung der uns bekannten Existenz in eine andere ist.

Goethe betrachtet also das Leben vom Tode, von der ewigen Tagseite her, wo der Tod immer vom Leben verschlungen wird. Von diesem Unbegreiflichen ist er überzeugt und lässt jede „gedankenzerstörende Spekulation“ hinter sich. In diesem ewigen Leben sieht Goethe den Wesenskern des Menschen, der sich analog zu Pflanzen und Tieren im Sterben und Werden, im Wandel, in ewiger Bewegung und Erneuerung befindet. Schon im Leben, das jeder Mensch lebt, habe er durch rastloses Schaffen sein Wesen zu steigern, dann kann es ihm „in Ewigkeit nicht an Beschäftigung fehlen“.

Der Dichter und Naturforscher ist also von der Fortdauer seiner Existenz überzeugt, die sich aus der rastlosen Tätigkeit bis zum Ende erschließt und in die andere Form des Daseins, nämlich in der Rückkehr in den Äther erschließt, aus der uns bekannten Existenz in eine andere Existenz. Mit diesem Gedanken an einen unendlichen Kreislauf, einer ewigen Wiederkehr, sind wir beim bekannten Goethe-Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“:

„Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

Spürest Du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur! Balde

Ruhest du auch.“

Univ.-Prof. Dr. Dr. et Prof. h.c. Ferdinand Klein