Friedhof Matzdorf

Bedenke, dass du sterblich bist!

Es ist etwas zutiefst Menschliches, sich seiner toten Ahnen wie auch geliebten Menschen zu erinnern und um sie zu trauern. Genau das macht nämlich, wenn auch mit einigen kulturellen und religiösen Unterschieden, den Totenkult aus – die Verehrung und Hochschätzung sowie Bestattung unserer Verstorbenen in ritualisierter Form.

Bereits seit der Steinzeit, mit einer ganz besonderen Blüte im alten Ägypten, über das Mittelalter bis in die Gegenwart, sind beim Menschen weltweit rituelle Bestattungen nachgewiesen. Im antiken Rom fürchteten sich die Menschen davor, von der Nachwelt vergessen zu werden. Davon zeugen unter anderem ihre ausgeprägten Grabinschriften. Der Totenkult war bei ihnen mit dem Seelenfest, der „Parentialia“, bei der in erster Linie der verstorbenen Eltern, aber auch Verwandten gedacht wurde, nur eine Form davon.

Seit Anbeginn der Menschheit gibt es die unterschiedlichsten Mythen dazu. Für die einen geht es um Gewissheit oder Glauben und für andere ist die Frage nach einem Leben nach dem Tod oder die Hoffnung darauf von Bedeutung. Für Christen wird der Tod als Übergang vom Leben ins „Paradies“ angesehen. Nach „Allerheiligen“ gedenkt die römisch-katholische Kirche mit „Allerseelen“ am 2. November aller Verstorbenen. Der „Totensonntag“ wiederum, als Gedenktag für die Verstorbenen, wird von der Evangelischen Kirche am letzten Sonntag vor dem 1. Advent begangen.

Die letzte Reise

Der Übergang vom irdischen Leben ins Jenseits wird auch als „die letzte Reise“ bezeichnet. Bei meiner letzten, erst kürzlichen Reise in die Zips besuchte ich auch das Familiengrab auf dem Matzdorfer Friedhof.

Für viele ist allein der Gedanke unvorstellbar, keine letzte Ruhestätte der engsten Angehörigen zu haben oder nicht zu wissen, wo sie ist, um an ihr trauern zu können. Oder fernab der Heimat später nicht in der Heimaterde begraben zu werden.

Mir kam die Idee, nach weiteren Hecht-Gräbern zu suchen. Ich erhoffte, wenn tatsächlich noch eines existiert, dann aufgrund des Namens nachforschen zu können, ob es sich um einen Verwandten handelt und vielleicht somit mehr über meine Ahnen zu erfahren. Obgleich ich keine große Hoffnung hatte, ging ich über zwei Stunden den ganzen Friedhof Grab für Grab ab. Immer wieder sagte ich dabei gedanklich „Wassermann“ und „Hecht“, da in meiner Erinnerung mein Vater von einer Tante Wassermann, einer geborenen Hecht, wusste.

Wie die Toten mich zu den Lebenden führten

Mir kamen die Tränen, als ich vollkommen unerwartet plötzlich vor dem Grab besagter Tante stand. „Oh, mein Gott“, ging es mir durch den Kopf, als ich die Sterbedaten sah. Die müssen es irgendwie geschafft haben, nach dem Krieg hier bleiben zu können. Sie sind also weder in den Wirren des Krieges noch auf der Flucht umgekommen oder später für uns irgendwo in Deutschland oder weltweit verloren gegangen. Wir waren doch früher jedes Jahr hier auf dem Friedhof und haben das Grab meines Großvaters besucht, dachte ich traurig.

Viele Gräber weiter entdeckte ich auch noch das Grab von Alexander Hecht, dem Sohn meines Urgroßonkels Ludwig Hecht. Erst geraume Zeit vor dieser Reise hatte ich die beiden überhaupt als Verwandte von mir ausgemacht.

Was unmöglich schien

Nach ergebnislosen Suchanzeigen in diversen Medien nach noch lebender Verwandtschaft väterlicherseits, wurde ich dank dieses Friedhofsbesuchs doch noch fündig, denn ich erzählte einem Bekannten aus Deutschendorf/Poprad von meinem Grabfund. Er sagte: „Stell dir vor! Eine ehemalige Arbeitskollegin von mir aus Matzdorf heißt Eva Wassermann. Gib mir etwas Zeit, sie zu finden. Vielleicht ist sie mit dir verwandt.“ Eine Woche später bekam ich folgende Nachricht auf mein Handy: „Hallo Norbert! Mein Name ist Eva Wassermann und ich bin die Urenkelin von Ludwig Hecht, Mária + Ján Wassermann sind meine Großeltern.“

Meine Antwort war: „Hallo Eva und ich bin Norbert Hecht, der Urenkel von Karl Hecht, dem Bruder deines Urgroßvaters.“ Die Freude war beiderseits sehr groß. Seitdem sind wir in sehr engem und regen Kontakt. Zusammenfassend schließe ich mit den Worten Ernest Hemingways: „Nur wenige Menschen sind wirklich lebendig und die, die es sind, sterben nie. Es zählt nicht, dass sie nicht mehr da sind. Niemand, den man wirklich liebt, ist jemals tot“.

Norbert Hecht