Weingut mit historischen Wurzeln – Graf Degenfeld
Tokaj und die Weinbauregion um die Stadt sind seit Jahrhunderten ein Begriff. Bereits im 18. Jahrhundert erwarb sich der Tokajer Wein die Bezeichnung „König der Weine und Wein der Könige“. Wer von Miskolc nach Tokaj fährt, passiert das Weingut Gróf (Graf) Degenfeld. Es wurde 2019 als schönstes Weingut Ungarns ausgezeichnet und betreibt komplett biologischen Anbau. Wir wollten wissen, was sich hinter dem deutschen Namen verbirgt und sprachen darüber mit Máté Tóth, dem Manager des Weingutes.
Herr Tóth, auf Ihrer Visitenkarte lese ich „GRÓF DEGENFELD 1857 TOKAJ“. Ist 1857 das Gründungsjahr des Weinguts?
Graf Imre Degenfeld gründete 1857 mit anderen renommierten Winzern und Fachleuten einen Verband mit dem Ziel, die Qualität der Tokajer Weine zu regulieren und zu verbessern. Diese Gemeinschaft hieß „Tokaj-Hegyaljai Bormívelő Egyesület“, also Winzerverband von Tokaj-Hegyalja. Das Ergebnis der Arbeit dieses Vereins ist die heute bekannte Produktpalette der Weinregion. Eine Neugründung erfolgte 1995, unmittelbar nach der Rückgabe der enteigneten Besitztümer.
Ist es richtig, dass die Vorfahren des Grafen Imre Degenfeld aus Deutschland kommen?
Ja, der Sitz der Vorfahren, die bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgt werden können, ist seit dem 16. Jahrhundert das Schloss Eybach nahe Geislingen in Baden-Württemberg.
Warum kamen die Degenfelds nach Ungarn?
Die Heirat von Graf Maximilian Degenfeld (1766-1815) mit Gräfin Anna Teleki führte ein deutsches und ein siebenbürgisches Adelsgeschlecht zusammen. Im Jahr 1800 zog das Paar nach Erdőszáda (heute Ardusat, Rumänien) in Siebenbürgen und hatte drei Söhne.
Bleiben wir noch bei der Familie Degenfeld. Gibt es eine Beziehung zwischen denen in Tarcal und der Degenfeld-Linie in Téglás?
Maximilians Sohn Emmerich (18211883) begründete diesen ungarischen Zweig der Familie Degenfeld. Sein Enkel Graf Paul Degenfeld (1871-1952) hatte keinen Nachfolger und adoptierte Graf Alexander (Sándor) Degenfeld aus dem siebenbürgischen Zweig, um die ungarischen Grundstücke einschließlich der Ländereien in Téglás, Baktalórántháza und Tokaj in der Familie weiterzugeben. Alexander Degenfeld ist der Vater der jetzigen Besitzerin des Weinguts in Tarcal, der Gräfin Marie Degenfeld.
Finden wir den Namen Degenfeld auch in der Politik?
Die bekannteste historische Figur aus dem deutschen Zweig ist Christoph Martin von Degenfeld (1599-1653). Er war ein ausgezeichneter Heerführer im 30-jährigen Krieg und wurde Generalgouverneur von Dalmatien und Albanien. In Ungarn spielten viele Familienmitglieder eine bedeutende Rolle in der Politik und im Johanniterorden.
Wann entstand das Schloss in Tarcal?
Es entstand 1873 im Rahmen eines landesweiten Programms zur Stärkung der Ausbildung in Weinbau und Weinherstellung nach der Reblaus-Krise. Mit der amerikanischen Weinrebe Vitis aestivals wurde die Reblaus auf unseren Kontinent gebracht und bedrohte ab 1863 Europas Weinberge. Das Schloss wurde zur Bildungseinrichtung. Diese half mit, dass sich der Weinbau wieder erholte.
Wurden hier auch Kellermeister ausgebildet?
Davon zeugen die großen und geräumigen Weinkeller, die jetzt zum Weingut gehören. Das Gebäude selbst ist heute ein 4-Sterne-Hotel, das Schloss-Hotel Gróf Degenfeld.
Welche Weine erzeugt das Weingut heute?
In der Tokajer Region dürfen nur fünf traditionelle Sorten angebaut werden. All dies sind weiße Trauben und die drei wichtigsten sind die Furmint, Hárslevelű und die Sárgamuskotály, auch bekannt als Gelber Muskateller. Unser Weingut produziert frische Sortenweine (d.h. Weine mit einem Reinheitsgrad nahe 100 Prozent) aus diesen drei Sorten sowie eine Auswahl an im Fass gereiften Weinen. Neben den trockenen Weinen umfasst unser Portfolio auch süße Spätlese-Weine wie den weltberühmten Tokaji Aszú und den Szamorodni. Im letzten Jahrzehnt haben wir begonnen, mit der traditionellen Methode Tokajer Sekt von Furmint zu experimentieren. Im Laufe der Jahre entstand so unsere sehr beliebte, renommierte eigene Sektmarke, deren neuester Jahrgang (2017) jetzt verfügbar ist.
Haben Sie eigene Verkaufskanäle?
Neben dem Export nach Europa und Übersee haben wir einen sehr starken Inlandsmarkt. Wir sprechen die Verbraucher direkt an, indem wir Weinproben und Veranstaltungen im In- und Ausland abhalten. Unsere Weine stellen die älteste Weinregion Ungarns dar und sind daher auch bei Touristen beliebt. Deshalb sind unsere Weine im Duty-Free-Shop des Flughafens Budapest erhältlich. Unser 4-Sterne-Schlosshotel mit dem Restaurant ist auch ein wichtiger Vertriebskanal.
Dann bietet das Hotel auch Weinproben?
Es befindet sich direkt neben dem Weingut. Das Design und die Ausstrahlung des Hotels basieren auf den Themen Aristokratie und Wein. Im Hotel gibt es einen Weinverkostungskeller. Das Restaurant bietet 5-6-Gänge-Weinabende an, bei denen spezielle Gerichte perfekt unseren Weinen angepasst sind. Man kann auch Weinproben in ungarischer und englischer Sprache buchen. Diese Weinproben gehen immer mit einem geführten Besuch des Weinguts und des Kellers einher. Weiterhin gibt es mehrere Weinveranstaltungen, an denen das Weingut teilnimmt, darunter zum Beispiel das „Bájos hétvége Tarcalban“ (Schönes Wochenende in Tarcal).
Nehmen Sie an solchen Veranstaltungen wie den Wein-Festivals in Tokaj teil?
Wir stellen auf zahlreichen renommierten Weinfestivals in Ungarn aus. Das in Tokaj war im Vorjahr eines unserer erfolgreichsten Festivals. Es hat sich sehr gut angefühlt, unsere Weine im „Heimstadion“ zu präsentieren. Auch im Internet sind wir aktiv, so mit unserer Homepage, auf Facebook und mit einem Newsletter.
Sie verfügen hier über große Weinkeller. Gibt es größere?
Ja (schmunzelt), jeder Weinkenner weiß, dass sich der größte Weinkeller der Welt in Cricova (Moldawien) befindet. Dort lagern 100 Meter unter der Erde auf sagenhaften 53 Hektar etwa 1,2 Millionen Weinflaschen. Aber kennen Sie das größte Weinfass der Welt? Nein? In Deutschland, in Bad Dürkheim! Das Fass mit einem Durchmesser von 13,5 m und etwa 12 m Länge wird als Restaurant genutzt.
Vielen Dank, Herr Tóth, für das interessante Gespräch!
Dr. Heinz Schleusener