Krieg

Wer baut wen auf

Kremls politische und militärische Kriegführung leidet an einer Reihe von traditionellen Vorurteilen und Fehlschlüssen, die noch aus der Mentalität des Zweiten Weltkrieges und Stalins – oder der Zarenzeiten stammen. Sie sind offenbar bis zur Stunde noch nicht dahinter gekommen, dass es sich bei der heutigen Ukraine um eine ganz neue Ukraine handelt, die weder mit der von 2014, noch mit der von 1990, noch der der Holodomor-Jahre, noch mit der des Zarenreiches verglichen werden kann.

Herr Putin hat ein gänzlich skurriles Bild von seinen Nachrichtenleuten erhalten. Sie verstehen in keiner Weise die heutige geistige Verfassung des ukrainischen Volkes. Sie stellen sich die Ukrainer ungefähr so vor, wie sie in den Witzblättern gezeichnet wurden. Und auf solchen Voreingenommenheiten basiert die ganze russische Kriegführung und Hoffnung auf den Sieg.

Man weiß inzwischen im Kreml genau, dass man das ukrainische Volk militärisch nicht zu Boden zwingen kann. Aber das hat man ja, so argumentieren sie, auch früher nicht gekonnt, und trotzdem geschah, dass das ukrainische Volk sich angeblich selbst besiegte, indem es innerlich einging. Aus dieser geschichtlichen Analogie stammt auch die von der russischen Propaganda immer wieder aufgestellte These, dass das russische Volk stärker im Nehmen sei als jedes andere Volk des Erdballs.

Man versucht dies durch alle möglichen und unmöglichen Argumente zu begründen. Man erklärt, das ukrainische Volk sei tapfer und ungestüm im Guerillakrieg, es verstehe auch für den militärischen Erfolg Opfer zu bringen; aber wenn es darauf ankomme, zu stehen und auszuharren, Härte und Unbeugsamkeit des Charakters zu zeigen und nicht zu wanken im Sturm der Zeit, dann versage es. Da seien ihm eben die Russen überlegen und deshalb würden sie am Ende doch trotz aller Erfolge der Ukrainer siegen, denn darauf komme es in der Entscheidungsstunde an.

Die aufbauende Realität

Nur wer das ukrainische Volk und seine Kultur näher kennt, kann es auch richtig verstehen und all diese Propaganda-Buhlerei in die Wüste schicken. Das hat gar nichts mit Leichtsinn zu tun; es ist eine wahre Art unverfälschter Lebensfrische und -kraft dieses mutigen Kosakenvolkes. Sie wollen einfach den Lebensmut nicht verlieren und retten sich über die Schmerzen und Peinigungen der Zeit vielfach mit natürlichem Lebensmut hinweg, der anstelle der früheren Harmlosigkeit den Charakter einer gerechten Wut annimmt.

Immer wieder bäumen sie sich in den Mauerresten ihrer Städte aufs Neue auf. Luftalarme begleitet mit Bomben- und Raketenhagel, die in anderen Städten Tagesgespräch sind, stellen hier lediglich notwendige Begleiterscheinung des Krieges dar, der für jeden Schlimmeres bereithält.

Wenn man mit Ukrainern aus den Kriegsgebieten spricht, fühlt man sich neu aufgeladen. Wir eilen ihnen zur Hilfe und wollen ihnen Kraft geben und stellen dann am Ende doch fest, dass wir viel mehr an Kraft empfangen haben. Nur unwirsch treten wir in einer solchen Stimmung an gewisse Tagesfragen heran, die sich den Problemen dieses Krieges gegenüber zu einem bedeutungslosen Nichts zusammenschrumpfen.

Dann fühlt man sich ganz beschämt, bestimmte Dinge wichtig genommen zu haben, die höchst unwichtig und nicht einmal nennenswert sind. Man wird verständnislos den kleinen Wehwehchen gewisser Zeitgenossen und Medien gegenüber, die da glauben, dass ihre eigenen Interessen über den Interessen des Krieges stehen und sich auch entsprechend aufführen.

Man möchte jedem, der sich beschwert fühlt, den Kopf Richtung Osten unseres Landes drehen und seine Augen dahin richten, wo wirklich Krieg geführt wird, den niemand von uns gewollt hatte. Er wird sich dann gewiss klar darüber werden, wie gut es ihm noch geht, wie wenig Grund er zum Jammern hat und welchen Dank er denen schuldet, die für ihn dort ringen, wo es am härtesten und grausamsten ist, ohne zu wanken und zu verzagen.

Fazit

Wir Karpatendeutsche haben wie die heldenhaften Ukrainer niemals den Zusammenhalt mit der geliebten Heimat verloren, ganz gleich in welchem Land unseres Wandelsterns wir auch leben. Sie erschien uns immer als das schönste Stück der Erde im ganzen All, ebenso wie den Ukrainern ihre Heimat.

In dieser Zeit aber sind wir wieder stolz darauf geworden, zum demokratischen Westen zu gehören. Es wird nach dem Krieg einmal unsere schönste Aufgabe sein, an dem Neuaufbau der Gebiete mitzuwirken, die heute durch den Krieg zerstört werden. Das Vertrauen, das die Bevölkerung der Kriegsgebiete den Führungen westlicher Demokratien entgegenbringt, werden wir nach dem Krieg gerne einlösen.

Die verwüsteten Gebiete werden wieder aufblühen. Weit angelegte Städte, saubere, großzügige Wohnblocks, monumentale öffentliche Gebäude, im Frieden eines tiefen und verdienten sozialen Glücks liegende Ländereien werden dann zeugen von der Verbundenheit der ganzen freien Welt mit dem ukrainischen Volk, das mit und für uns heute das schönste Denkmal eines gemeinsamen Freiheitskampfes setzt.

Oswald Lipták