Wie eine Schulpartnerschaft aufleben kann
Junge Menschen mit und ohne Behinderung und ihre pädagogischen Begleiter hatten sich in Altdorf (bei Nürnberg) vom 27. September bis 6. Oktober 2017 vorgenommen, die schon seit elf Jahren bestehende und 2016 erneut von Direktorin Maria Valjašková (Žilina/Sillein) und Schulleiter Andreas Kasperowitsch (Altdorf) unterschriebene deutsch-slowakische Partnerschaftsurkunde weiter mit Leben zu erfüllen. Und so kamen sie zu einem außergewöhnlichen Jugendtreffen zusammen.
Im Juni dieses Jahres hatte ein Jugendtreffen in Žilina stattgefunden. Nun realisierten zehn junge Menschen des Förderzentrums für Körperbehinderte im Wichernhaus, Altdorf, die zweite Phase des Projekts „Traditionen und Aufbrüche“ mit ihren Pädagogen und Therapeuten sowie zehn Studierenden der Ohm-Hochschule Nürnberg in Zusammenarbeit mit zehn jungen Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen der Fachmittelschule (Spojená škola internátna) Žilina, ihren Pädagogen und Therapeuten sowie zehn Studierenden der Pädagogischen und Sozialen Akademie in Čadca.
„Was man will, muss man ganz wollen“
So konnten etwa 45 Menschen mit und ohne Behinderung ein lebenspraktisches Bildungsprogramm mit viel Einsatz und Freude gestalten. Sie bewegten sich auf den Spuren des Begründers der Diakonie, des Theologen Johann Hinrich Wichern (1808-1881), von dem dieser Spruch in der Eingangshalle des Altdorfer Wichernhauses zu lesen ist: „Was man will, muss man ganz wollen, halb ist gleich nichts!“
Wichern war davon beseelt, anderen Menschen mit ganzer Kraft zu helfen. Dafür steht die Rummelsberger Diakonie heute in der Gestalt des Altdorfer Förderzentrums, das für sein Kooperationsbemühen auf europäischer Ebene, unter vielen anderen auch mit der Einrichtung in Žilina bereits 2012 mit der „Europaurkunde des Freistaats Bayern“ bedacht wurde.
Gemeinsam in fremde Welten eintauchen
Dank der engagierten, umsichtigen und kreativen Vorarbeiten des Heil- und Erlebnispädagogen Jochen Riehl und seines Teams, wurde ein sozialpädagogisch vorbildlich konzipiertes, Grenzen überschreitendes Praxisprojekt realisiert. Menschen mit Behinderungen bekamen Zugang zu Erfahrungslernen, Zugang zu Natur, Kultur und Natursport. In konkreten Vorhaben erfuhren sie viel. Sie machten beispielsweise ein Stadtspiel in Altdorf, feierten Erntedankfest, erfuhren, wie Apfelsaft hergestellt wird oder erlebten ein Abenteuer in der Harnbacher Mühle.
Sie lernten, wie sie miteinander in die jeweils eigene und fremde Welt eintauchen, in möglichst aktivierenden Situationen bedeutsame Traditionen erleben und aus den eigenen, oft sehr fest gefügten Bahnen ihre persönlichen Aufbrüche wagen können. Hier sind junge Leute mit Behinderung unterwegs mit jungen Leuten, die sich in Ausbildung befinden, um pädagogische und soziale Arbeit zu beginnen. Alle haben etwas davon mitbekommen, wie im besten Sinne europäische Werte gedacht, gelebt und weitergegeben werden können.
Lernen Barrieren zu überwinden
Beispielhaft wird gezeigt, wie junge Menschen im Rahmen eines gut durchdachten Programms durch informelles Lernen ihr Leben aus eigener (Mühlen-)Kraft gestalten können. Ihre Lernerfahrungen in Lebenszusammenhängen ermöglichten es, die bekannten und immer wieder auftauchenden Barrieren im Verhalten und im mitmenschlichen Kontakt abzubauen und auch zu überwinden. So konnten alle Akteure jeden Tag mit viel Interesse und Gewinn an sozialen und kommunikativen Kompetenzen kreativ gestalten.
Dieses erlebnispädagogische Projekt trug zur persönlichen Entwicklung der Jugendlichen, zum kulturellen Austausch zweier europäischer Völker und zur Beteiligung von Menschen mit Behinderungen auf der Baustelle des großen ‚Haus Europa‘ bei. Junge Menschen machten sich auf den Weg, ihr eigenes Leben bewusster zu gestalten. Sie wollen teilhaben an einer gemeinsamen friedfertigen Welt im gerechteren, vielfältigen jungen Europa. Davon sprach bereits die europäische Reformpädagogin Maria Montessori: „Konflikte zu vermeiden ist Werk der Politik, den Frieden aufzubauen ist Werk der Erziehung.“
Dr. Anna Klein-Krušinová, Prof. Dr. Ferdinand Klein