50 Jahre Freundschaft zur Slowakei und den Karpatendeutschen
Liebe Leserinnen und Leser des Karpatenblattes,
im Juli dieses Jahres feierte unser Karpatenblatt seinen 25. Geburtstag. Mit Freude möchte ich dazu herzlich gratulieren. Während meines Aufenthaltes in einem Hotel in Poprad/Deutschendorf (eine Autobus-Reise von Deutschland in die Slowakei) erhielt ich im Jahr 2004 „mein“ erstes Karpatenblatt. Wieder zu Hause, bemühte ich mich um ein Abonnement. Nach anfänglichen Schwierigkeiten erfolgte von Poprad aus die monatliche Zusendung, die später von Košice/Kaschau übernommen wurde. Alle Hefte waren trotz des weiten Postweges niemals beschädigt. Mein herzlicher Dank gilt heute auch den Beschäftigten in der Druckerei und im Vertrieb des KDV-Monatsblattes. Vielleicht werden Sie sich jetzt fragen, wieso ein so entfernt wohnender Deutscher Interesse an der Publikation der Karpatendeutschen in der Slowakischen Republik hat. Das möchte ich Ihnen hier mitteilen.
Im Jahr 1966 las ich in der „Wochenpost“ (einer sehr beliebten Zeitung in der DDR/NDR) folgende Annonce: „Elena, 22 Jahre, sucht einen deutschen Brieffreund.“ Ich schrieb eine Karte an die Adresse in Topoľčany. In ihrer Antwort teilte mir Elena mit, dass sie ca. 400 Zusendungen erhalten habe. Alle anderen Briefwünsche habe sie in ihrer Schule verteilt.
Im Frühjahr 1967 hörte ich über den Hessischen Rundfunk aus der BRD einen Konzertabend mit Künstlern aus der Tschechoslowakei – mein erster Kontakt mit Schlagern und volkstümlicher Musik Ihres Landes im Herzen Europas.
Im August 1967 besuchte ich meine Brieffreundin und ihre Familie. Dort lernte ich meine ersten slowakischen Wörter. Die Gastfamilie zeigte mir Sehenswertes ihrer schönen Heimat, von ihnen erfuhr ich auch mir bisher Unbekanntes über die Region und die dort lebenden Menschen. Dabei informierte mich Elenas Vater auch über die Geschichte der ČSSR, über die beiden Völker Slowaken und Tschechen, über die Karpatendeutschen und über kulturelle Gegebenheiten. Von all dem hatten wir in der DDR in den Schulen nie etwas erfahren. Für uns gab es damals nur das „sozialistische Brudervolk in der ČSR/ČSSR“.
Ab Januar 1968 hörte ich bei uns in Thüringen (Durrínsko) sehr oft die deutschsprachigen Sendungen des Prager Rundfunks. Von besonderem Interesse waren für mich die Informationen über den beginnenden „Prager Frühling“, von dem in der DDR nichts Positives berichtet wurde.
Anfang August 1968 reiste ich voller Erwartungen erneut mit dem Zug in die ČSSR. Nach dem Grenzübertritt sagte mir eine der mitfahrenden Frauen: „Sie sind jetzt bei uns in einem freien Land und Sie können hier Ihre persönliche politische Meinung sagen. Niemand wird Sie deshalb bestrafen.“
Während einiger Tage in Bratislava und in Topoľčany überraschte mich die ungezwungene Stimmung der Bevölkerung, wie ich sie bei den Bürgern in der DDR noch nie so erlebt hatte. Jedoch nur bis zu jener Minute, als mir Elenas Vater am Morgen des 21. August ernst und traurig zugleich erklärte:
Es ist etwas sehr Schreckliches geschehen, die russische Armee hat in der Nacht unser Land okkupiert. Auch Prag ist schon besetzt, dort ist Kampf auf den Straßen. Alexander Dubček ist von den Russen verhaftet worden!“
Nach mehreren Tagen in Topoľčany, danach – nicht ohne innerer Anspannung in Bratislava und in Prag – musste ich mir nach meiner Rückkehr in der DDR von Staatsfunktionären sagen lassen, dass der „Prager Frühling“ im Bruderland in Wirklichkeit eine Konterrevolution rechter Kräfte gegen den Sozialismus gewesen sei.
Der Kontakt zu meiner Brieffreundin blieb in der Folgezeit bestehen. Er wurde jedoch seltener genutzt. Jeder von uns hatte damals inzwischen seine eigene Familie gegründet.
Für uns DDR-Bürger folgten im Jahr 1989 spannende Monate bis zu jenem „Tag der Deutschen Einheit“ am 3. Oktober 1990. Praktisch über Nacht lebten wir nun in einem kapitalistischen Staat, ständig mit bisher Unbekanntem gefordert. Vor allem mit dem Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes, bei jetzt möglichen Reisen in den „Westen“ Deutschlands (BRD/NSR), aber
auch bei der Verbesserung der privaten Wohnverhältnisse und bei der Bewältigung vieler neuen Situationen.
Deshalb ist mir wahrscheinlich die in den hiesigen Medien wenig auffällige Nachricht vom Ende der Č-SFR mit der Gründung der (zweiten) Slowakischen Republik am 1. Januar 1993 nicht so bewusst aufgefallen.
Ich habe mir den Tag nicht gemerkt, dafür aber den Satz, den ich im Frühjahr 2002 zu meiner Frau Brigitte gesagt hatte: „Wir sollten versuchen, ob wir die slowakische Elena (meine Tochter heißt auch Elena) wiederfinden.“
Nach dem Geldumtausch in slowakische Kronen erfolgte ab dem 16. August 2002 unsere erste Reise in das „Kleine Große Land“ Slowakische Republik. Schon am dritten Tag gab es nach 34 Jahren (!) unter dem Michaeler Torturm in Bratislava ein herzliches Wiedersehen mit meiner früheren Brieffreundin, die uns dabei auch ihre nette Familie vorstellte.
Von 2002 bis 2013 besuchte ich mit meiner Frau jedes Jahr die Slowakei. Unsere touristischen Ziele fanden wir vorwiegend im westlichen und im mittleren Landesteil. Die Slowakei ist für uns sehr schnell eine „Druhý domov“ – eine „Zweite Heimat“ geworden. Bei jeder Reise lernten wir freundliche und hilfsbereite Menschen kennen. Ein besonders herzliches Verhältnis besteht zum karpatendeutschen Ortsverein in Krickerhau mit Pani Hildegard Radovská und zum Ortsverein in Pressburg mit Pani Rosi Stolár-Hoffmann.
Weil ich in keiner slowakischen Buchhandlung ein gewünschtes Buch in deutscher Sprache finden konnte, habe ich im Jahr 2004 begonnen, alle mir erreichbaren Daten und Ereignisse (auch die der Karpatendeutschen) bis zum Jahr 2014 bei uns und den unvergessenen Reisen in die Slowakei zu sammeln und in deutscher Sprache in einer 250-seitigen Chronik „Dejiny Slovenska“ („Geschichte der Slowakei“) aufzuschreiben.
Eine Augenerkrankung verhindert meine weitere Arbeit an der Chronik. Auch künftige Reisen in die SR. Unvergessen bleiben die Erinnerungen an unsere slowakischen Freunde, an die vielen besuchten Sehenswürdigkeiten im Gebirge, in Städten und Dörfern, Schlössern, Burgen und Thermalbädern, aber auch bei Weinlesefesten, schmackhaften Speisen und Getränken. Die von uns sehr gern gehörte slowakische Blas- und volkstümliche Musik (besonders mit Cimbal-Klängen) erleben wir jetzt „nur noch“ per CD aus der SR oder in bester Qualität von den drei Regina-Programmen des RTVS.
Dieser Brief ist wahrscheinlich ein Abschied an sehr viele schöne Tage in unserer „Zweiten Heimat“, der Slowakischen Republik.
Es ist wunderbar, dass wir als Verbindung zu Ihnen allen auch künftig jeden Monat aus Košice/Kaschau vom KDV einen freundschaftlichen Gruß aus der „Zweiten Heimat“ erhalten: Das Karpatenblatt. Herzlichen Dank! Ďakujeme Vám!
S priateľskym pozdravom a všetko najlepšie,
Váš Bernd Oertel