Totengedenken zu Allerheiligen und Allerseelen
Vielleicht haben Sie schon die Gräber Ihrer Familienangehörigen besucht oder Sie werden es noch tun. Vielleicht zünden Sie zumindest zu Hause eine Kerze an, um Ihrer Vorfahren zu gedenken. Laut Umfragen erinnern 96 Prozent der Bevölkerung der Slowakei an diese kirchlichen Feiertage. Gedanken über Leben und Tod tauchen bei vielen häufiger auf als je zuvor.
In den ersten Novembertagen erleben wir ein traditionelles kirchliches Doppelfest: Allerheiligen und Allerseelen. Bei den Karpatendeutschen sind diese Tage tief verwurzelt. Es sind Tage, an denen wir uns oft Gedanken über das Leben und den Tod machen. Wir alle wissen: Ein Leben ohne Tiefen gibt es nicht. Sie kommen, gehören zu unserem Leben dazu. Schwere Zeiten machen keinen Spaß. Sie kommen ungefragt und ungewollt, und doch müssen wir sie irgendwie bestehen. Tiefen und Rückschläge ermöglichen Wachstum, verursachen Veränderungen und lassen uns Dinge überdenken. Oft sind sie sogar ein Schlüssel zu unserer persönlichen Entwicklung. Auch wenn es schwerfällt, sollten wir akzeptieren, dass wir dort sind, wo und wie wir gerade sind: im Dunkeln, vielleicht auf der schwierigsten Etappe unseres Lebens.
Wer behauptet, er mache sich keine Gedanken über den Tod, lügt. Der Philosoph Martin Heidegger sagte: „Der Tod ist das Gebirge des Lebens.“ Tatsächlich ist der Tod, wie eine hohe Bergkette von Weitem sichtbar, auf dem Lebensweg der Menschen eine Grenze, die es zu überwinden gilt und hinter die wir nicht schauen können. Sterben ist die Aufgabe, die jedem von uns bei der Geburt aufgetragen wurde. Irgendwann überfällt uns alle der erschreckende Gedanke: Das Leben ist endlich! Eigentlich wussten wir das schon längst, aber dennoch lebten wir, als hätten wir unendlich viel Zeit – Zeit, um unsere Träume Wirklichkeit werden zu lassen, unseren Plänen Leben zu verleihen, unsere Beziehungen viel intensiver zu pflegen und das zu vollenden, was wir schon so lange aufgeschoben haben. Doch plötzlich ist es da, das Wissen: Meine Zeit, jede Zeit ist begrenzt. Viele Träume werde ich nicht leben können, ich werde mich anstrengen müssen, wenigstens einige meiner Pläne zu verwirklichen, und ich werde meine Beziehungen jetzt intensiver leben müssen.
Diese Gedanken hat Peter Maffay (1949), deutscher Sänger, Gitarrist, Komponist und Musikproduzent (und Angehöriger der deutschen Minderheit – sein Vater war Ungarndeutscher, seine Mutter war siebenbürgisch-sächsischer Herkunft) in seinem bekannten Lied „Der Strom der Zeit“ folgendermaßen ausgedrückt:
Du bist ein Teil vom Strom der Zeit,
Den keiner je sieht,
Niemand weiß, woher er kommt
Und wohin er zieht.
Die meisten Menschen setzen sich mit solchen Gedanken auseinander. Mit einem leichten Schwindelgefühl stellen sie oft fest, dass ihnen so vieles aus den Händen zu gleiten droht, wie kurz ein Menschenleben doch eigentlich ist. Die Sinnfrage stellt sich: Wozu das alles? Was ist eigentlich wirklich wichtig? Wofür soll ich meine abnehmende Kraft einsetzen? Diese und ähnliche Fragen stellen auch wir, die Karpatendeutschen, uns vor allem bei den Friedhofsbesuchen. Die Antwort ist einfach: Das Engagement unter den Karpatendeutschen hat großen Sinn und wir sollten die Zeit nutzen!
Ondrej Pöss