… blieb graue Asche nur zurück – Paul Tischler erinnert an die „Letzten Fünf“

Bald werde es keine „deutschjüdischen Autoren“ aus der Slowakei mehr geben und ihre Literatur werde unwiderruflich der Vergangenheit angehören, stellt der renommierte Exilforscher Guy Stern im Vorwort fest. Umso verdienstvoller ist es, dass sich der 1946 unweit der ostslowakischen Metropole Kaschau/Košice, nämlich in Metzenseifen/Medzev in der Zips geborene Münchner Autor Paul Tischler, der als origineller Schriftsteller (unter anderem Grasgott, 2001), kenntnisreicher Literaturhistoriker und unermüdlicher Fürsprecher der karpatendeutschen Dichtung bekannt ist, dieses Themas angenommen hat.

Tischler charakterisiert Leben und Werk der „Letzten Fünf“, wobei er stets im Auge behält, dass diese Schriftsteller sowohl ihrem Herkunftsland – den Wurzeln – als auch ihrem späteren Heimatland – der Krone – angehören. „Die Wurzeln und die Krone eines menschlichen Baumes sind […] für den Stamm von gleicher Wichtigkeit.“

Von Pressburg nach Palästina

Das erste Porträt gilt Alice Schwarz-Gardos (1916–2007), die 1939/40 auf abenteuerlichen Wegen aus Pressburg/Bratislava nach Palästina gelangt war und später eine der bekanntesten Journalistinnen Israels wurde. Arnold Zweig und Max Brod ermutigten sie zum Schreiben. Schwarz-Gardos verfasste Romane und Novellen, Essays und Memoiren, Reportagen und Sachbücher, trat aber auch als Kinder- und Jugendbuchautorin hervor und gab interessante Anthologien wie „Heimat ist anderswo. Deutsche Schriftsteller in Israel“ (1979) oder „Hügel des Frühlings“ (1984) heraus.

Tischlers Kurzbeschreibungen ihrer Bücher machen Lust auf deren Lektüre. Das gilt auch für Kapitel zwei, das dem 1924 geborenen Tuvia Rübner gewidmet ist, der durch sein umfangreiches lyrisches Werk (u. a. Granatapfel, 1995; Lichtschatten, 2011), aber auch durch die Autobiografie „Von Pressburg nach Merchavia“ (2004) bekannt ist. Der Dichter, dessen gesamte Familie in Auschwitz ermordet wurde, schreibt in hebräischer und in deutscher Sprache, „hermetisch und vielschichtig“, wie Tischler bemerkt – gewiss eher ein „Dichter für Dichter“ denn ein Autor fürs große Publikum: „Rübners Gedichte sind Texte eines Intellektuellen“.

Poesie par excellence

Sehr kurz – zu kurz – ist der Abschnitt über die in Pressburg geborene, in Tel Aviv lebende Erzählerin Eva Kovac geraten, die ihren Lesern aus jüdisch-weiblicher Perspektive die Kriegs- und Nachkriegsjahre in ihrer Geburtsstadt so nahe bringe, „wie wir sie bisher von keinem aus der Slowakei stammenden deutschsprachigen Autor kennen“. Vom gleichen Jahrgang ist die in deutscher wie spanischer Sprache schreibende Poetin, Übersetzerin und Malerin Erika Blumgrund (1924–2016), deren Gedicht „In einer bitt’ren Stunde“ so beginnt:

„Von lichterlohem Feuer / blieb graue Asche nur zurück. / Das Herz das einst in Glut versengte / Stück für Stück, / ist kalt.“ Paul Tischler stellt ihre Gedanken-, Natur- und Liebeslyrik ebenso eindringlich vor wie ihre Verse über das Judentum und den Holocaust – und betont, dass ihr Band Acordes  „das schmalste und beste Buch der Slowakeideutschen“ sei, „hohe Kunst, reine Lyrik, Poesie par excellence“.

Düstere Texte mit gewisser Schönheit

Das fünfte Porträt würdigt die ebenfalls im Jahr 1924 in Unter-Kubin/Dolný Kubín geborene christlich-jüdische Autorin Anna Krommer, die dank Siglinde Bolbecher, Konstantin Kaiser und anderen Exilforschern heute vor allem in Österreich bekannt ist, und das nicht nur als enge Freundin von Theodor Kramer.

Mit Lyrik und Prosa ist die lange Jahre in Washington D.C. lebende Dichterin in ungefähr vierzig Anthologien vertreten, aber auch in Zeitschriften wie Aufbau, Literatur und Kritik oder „Mit der Ziehharmonika“ (wie die Zwischenwelt früher hieß). „Melancholie und Trauer sind die Grund-Wesenszüge ihrer Dichtung, düstere Texte, die jedoch trotzdem einer gewissen Schönheit nicht entbehren“.

Ein Büchlein für Spezialisten, sicherlich, und leider nicht ohne ärgerliche Wiederholungen, doch mit enormer Sachkenntnis geschrieben und von inniger Liebe zu seinem Gegenstand getragen. Insgesamt ein bemerkenswertes Opusculum für Liebhaber und Germanisten, die auch den in staunenswerter jahrzehntelanger Arbeit entstandenen reichhaltigen Anmerkungsteil studieren sollten.

Klaus Hübner

„Will ablegen den Wanderstab – Die Letzten Fünf. Deutschsprachige jüdische Schriftsteller aus der Slowakei“ erschien 2018 im Gerhard Hess Verlag 2018 in Bad Schussenried und umfasst 132 Seiten.