Fragt und schreibt auf, bevor es zu spät ist!
Was weiß man eigentlich wirklich über seine Eltern und dadurch letztendlich auch über sich selbst? Wer wirklich mehr über sich wissen will, muss sich auch mit dem Land seiner Eltern, wie auch dem seiner Vorfahren befassen, darf weder seine Herkunft verleugnen, noch darf er sich scheuen, Fragen zu stellen.
Ganz gleich, ob sie viel oder wenig über sich erzählten, was oder wieviel man von seinen Eltern tatsächlich weiß, ist auch von dem Verhältnis abhängig, das man zu ihnen hatte. Wie auch immer es war, gewiss weiß man ihren Geburtstag und -ort, die Lieblingsfarbe, -essen, was sie besonders gern mochten oder nicht, wie auch bestimmte Dinge, Regeln, die sie einem beibrachten. Natürlich kann, muss, darf, will man auch nicht alles von seinen Eltern wissen.
Man vergisst mit der Zeit auch schlichtweg das ein oder andere, nicht nur über sie. Obgleich ich in München geboren und in Bayern aufgewachsen bin, stammten mein Vater als Zipser Sachse sowie meine slowakische Mutter aus der Zips. Daher bin ich nicht nur ein Nachfahre zweier Nationalitäten, sondern auch im weitesten Sinne durch die Zips geprägt. Wenn meine Eltern wiederum auch von ihren Eltern geprägt wurden, so doch auch vom Land selbst. Das haben sie, wenn auch unbewusst, auch an mich weitergeben.
Fragen über Fragen
Wer ist das nur und warum ist der oder die… mit im Fotoalbum? Was haben die mit uns und auf welche Weise bloß zu tun, was war eigentlich mit der Großtante und dies und das nochmal mit Großvater… waren die wiederkehrenden Fragen, als ich nach dem Tod meiner Mutter das alte Fotoalbum (bis 1944) wieder durchblätterte. Meinen Vater konnte ich nicht mehr fragen. Fragst die Mama, vielleicht weiß sie ja noch was… Geht ja auch nicht mehr, stellte ich ernüchternd fest, wie auch die Tatsache, dass ich der letzte noch Lebende väterlicherseits bin.
Leider war das Wissen über meine väterlichen Vorfahren schon vor der Flucht 1944 teils lückenhaft. Zum Glück habe ich Fotos auch aus dem Alltag meines Ur- und Großvaters, halten diese doch den Moment fest und geben somit Einblick in das frühere Leben und in die Zeit meiner Vorfahren. Manches darüber weiß ich vom Vater, anderes entdeckt man als Notiz auf der Rückseite eines Fotos, aber mehr auch nicht. Als Kind will man es nicht wissen, später wenn man fragte, wollte Papa auf bestimmte Fragen nicht antworten. Hoffte, er wird vielleicht noch von sich aus später mehr erzählen oder ich frage irgendwann, aber dann mit Nachdruck nach! Ehe ich mich versah, war es zu spät.
Stichwort „Foto“
Betrachtet man ein Foto seiner Eltern, wird umgehend eine Gefühlsregung und eine Erinnerung an sie wach. Sind es doch die Menschen, die einen nicht nur gezeugt und großgezogen haben, lebte man doch auch mit ihnen zumindest bis ins junge Erwachsenenalter zusammen unter einem Dach. Also nicht gerade eine kurze Zeit. Danach reißt bis zu ihrem Tod der Kontakt auch nicht völlig ab. Und doch, was weiß man wirklich über seine Eltern? Obwohl ich ein inniges Verhältnis zu beiden Eltern hatte, so gab es doch nach ihrer beider Tod immer wieder mal einen gedanklichen Zwiespalt über das ein oder andere Thema oder den ein oder anderen Vorfall. Doch letztendlich bin ich ihnen zutiefst dankbar, denn sie waren nicht nur sehr gute Eltern, nein, ich stellte fest: Alles, was ich kann, weiß und bin, verdanke ich ihnen, nur ihnen. Seit ich mich intensiv mit meinen Vorfahren und dadurch auch mit der Zips beschäftige, habe ich festgestellt, dass eben auch das Land und seine Zeit einen Menschen prägen. Dies erklärt mir im Nachhinein auch vieles, warum sie waren, wie sie waren oder warum einige Dinge ihnen so wichtig waren, sie mich zu lehren.
Damit am Ende mehr als „nur ein Foto“ bleibt, ist damit auch jede Generation angesprochen: Nicht nur Eurer Ahnen, Eurer selbst, aber auch Eurer Kinder und Kindeskinder wegen, bewahrt Euer Familienwissen, auch wenn‘s schwerfällt. Erzählt, fragt und schreibt auf, bevor es zu spät ist!
Norbert Hecht