In Erinnerung an Filmemacher Juraj Herz
Als deutscher Korrespondent in Prag reist man nicht nur für die Leser regelmäßig durch Tschechien und die Slowakei oder recherchiert in den schönen Jahreszeiten einen Artikel gern auch mal auf der Terrasse in Prag unter strenger Aufsicht der vierbeinigen Mitbewohnerin, Schmidts Katze Mourinka. Nein, man ist manchmal auch „nur Deutscher“. Und als solcher gelistet beispielsweise beim Fernsehen oder bei privaten Studios für Synchronisation. Immer dann, wenn ein großer Film mit deutschem Bezug ansteht oder ein Werbefilm auf Deutsch produziert werden soll, klingelt bei mir das Telefon. Ob ich Lust und Zeit hätte, fragt man da. Ich habe für solche Nebentätigkeiten immer schon eine Schwäche gehabt. Vor allem, was Filme angeht.
Der Grund: Wenn man großes Glück hat, lernt man bei einem Casting für das Vorsprechen auch interessante Leute kennen. Und irgendwie sieht man sich Filme, in denen man selbst mit ein paar Sätzen vorkommt, gleich mit anderer Spannung an. Leider wird man meistens zu Filmen angefragt, die die Zeit der nationalsozialistischen Okkupation Böhmens und Mährens behandeln. Dort werden immer auch Wehrmacht- oder SS-Angehörige gebraucht, die auf Deutsch meist harsche Befehle geben müssen.
Ich habe meine Stimme schon diversen Filmen geliehen, etwa dem letzten Streifen über Lidice. Von deutschen Reklamefilmen vorrangig für tschechische Brauereien ganz zu schweigen. Offensichtlich haben die Synchronstudios an meinem über die Jahre gewachsenen Bauchumfang erkannt, dass ich eine prinzipiell positive Einstellung zum Bier habe.
2009 aber hatte ich bei einem Casting die mir wichtigste Begegnung. Es ging um den Film „Habermanns Mühle“. Einen Streifen, der in der Besatzungszeit in Mähren spielt. Ein unpolitischer deutscher Unternehmer sitzt dort plötzlich zwischen allen Stühlen: den Nazis gilt er als Freund der Tschechen, für die Tschechen ist er dagegen kein normaler Mitbürger mehr, sondern ein verhasster Besatzer.
Als ich zum Casting beim Fernsehen erschien, fielen mir beinahe die Augen aus dem Kopf. Zu meiner völligen Überraschung waren da nicht nur die üblichen „Hilfskräfte“ am Werk, sondern auch der Regisseur persönlich: eine Ikone der tschechoslowakischen Filmkunst – der aus Kesmark stammende Juraj Herz. Herz, slowakisch-jüdischer Herkunft, gehörte zu den prägenden Regisseuren der „Neuen Welle“ in der Zeit des Prager Frühlings. Sein wichtigster Streifen, „Der Leichenverbrenner“, landete in den kommunistischen Tresoren und wurde erst nach 1989 aufgeführt. Herz hat auch viel im deutschen Exil gedreht, vor allem Märchenfilme.
Ich war so aufgeregt, dass mein Casting völlig in die Hosen ging. Ich sprach zu hoch, zu schnell und vor allem „zu weich für einen Nazi“, wie Herz befand. „Sie sind halt ein glückliches Nachkriegskind“, senkte er den Daumen. Doch das war mir an jenem Tag so etwas von egal. Herz nahm sich nämlich die Zeit, sich mit mir noch eine halbe Stunde zu unterhalten, als er hörte, dass ich eigentlich als Journalist arbeite. Schreiben sollte ich über unsere Begegnung nicht, bat er sich aus. Heute kann ich darüber schreiben. Juraj Herz ist mit 83 Jahren gestorben. In Deutschland ist das eine Randnotiz. In Tschechien und der Slowakei ein großes Thema. Wie auch für mich. Unser Treffen wird mir immer in Erinnerung bleiben. Möge ihm die Erde leicht sein, wie man in Tschechien sagt.
Hans-Jörg Schmidt