Mathias Witkovsky

Mathias Witkovsky – Maurer und Bauunternehmer im Zipser Einsiedel

„Opapa, dazeehl uns vom Krieg! („Opa, erzähl uns vom Krieg“), forderten wir als Schulkinder unseren Großvater hin und wieder auf, über seine Kriegserlebnisse zu berichten. War er doch k.u.k.-Infanterist gewesen. Und er erzählte: Vom Kriegsbeginn, der in Einsiedel am 31. Juli 1914 um Mitternacht von zwei Stadtheiducken verkündet wurde. Sie fordern die Reservisten auf, sich am Morgen am Bahnhof einzufinden. Im Gegensatz zu der vielerorts in Deutschland durch diese Nachricht ausgelösten Jubelstimmung, waren die Menschen in Einsiedel bedrückt, Mütter und Ehefrauen weinten.

Über sieben Monate kämpft unser Großvater an der Ostfront in Russland. Gänsehaut verursachte uns die Schilderung der Nahkämpfe, bei denen es mit aufgepflanztem Bajonett und Hurrageschrei aus dem Schützengraben auf den Feind losging. Er wird gefangen genommen und nach Irbit, jenseits des Uralgebirges, transportiert, 3600 Kilometer vom Heimatort entfernt. Hier bleibt er vier Jahre und danach noch zwei weitere Jahre in Troizk bei Moskau. Er berichtet von Zwangsarbeit beim Bahnbau, von langer Krankheit wie Typhus und Skorbut, schlechter Ernährung. 1921, drei Jahre nach Kriegsende, kehrt er zurück und kann seine Tochter Maria, unsere Mutter, die bei Kriegsbeginn sechs Monate alt war, als nun Siebenjährige in die Arme schließen.

Geboren im Königreich Ungarn

Er wird geboren am 1. Januar 1886. Damals gehörte die Zips noch zum Königreich Ungarn. Von 1892 bis 1898 besucht er die Volksschule in Einsiedel, die damals noch getrennt nach Konfessionen war. Wegen des großen Anteils an Deutschen im Ort war die von den Ungarn betriebene Magyarisierung noch nicht weit fortgeschritten, so lernt er an der Grundschule noch Deutsch. Er beherrscht die deutsche und die lateinische Schrift. Gleich nach dem Schulabschluss beginnt er eine vierjährige Maurerlehre. In den zum Bauen ungeeigneten Wintermonaten müssen auch die Lehrlinge im Sägewerk oder in einem Bergwerk ihr Brot verdienen. Für einen 12- bis 15-Jährigen ein sehr hartes Leben. So versucht er schon als 16-Jähriger sein Glück in Amerika (USA). 1907, nach zweieinhalb Jahren, kehrt er enttäuscht zurück und berichtet von italienischen Einwanderern, die vor Hunger die Mülltonnen nach Essbarem durchwühlten. Er beginnt seine Maurertätigkeit, die jedoch bald durch den Militärdienst unterbrochen wird: sechs Monate in Zeben/Sabinov und zweieinhalb Jahre in Wien.

Mathias Witkovsky
Mathias Witkovsky (links), Wehrdienst in Wien

Knapp vier Jahre später muss er in den Krieg. Nach der Rückkehr 1921entfaltet er eine große Schaffenskraft. Er wird Bauunternehmer. Die Baupläne zeichnet er selbst. Beanstandungen der Bauaufsichtsbehörde gab es keine. Ich erinnere mich gut an seinen Zirkelkasten, den er mit dem Flüchtlingsgepäck nach Deutschland gerettet hatte.

Nach Flucht und Vertreibung landet er in Ammenhausen/Nordhessen. Hier dokumentiert er in einem Schulheft mit karierten Seiten sein Schaffen zwischen 1921 und 1944. Aus dem Gedächtnis! An die 400 Bauaufträge listet er auf. Er gliedert sie nach Einsatzorten. Zuvor zählt er seine Mitarbeiter namentlich nach Funktionen auf: 23 Lehrlinge, 33 Gesellen und 130 Hilfsarbeiter, darunter eine große Zahl von Frauen, die er auch nach Einsatzorten unterteilt. „Viele habe ich vergessen“, vermerkt er unter der Rubrik Handlanger. Somit dürfte er deutlich über 200 Mitarbeiter beschäftigt haben. Zum Transport von Baumaterialien, für den damals Fuhrwerke eingesetzt wurden, hat er sieben Frächter beschäftigt.

Wie stark das Maurerhandwerk in Einsiedel vertreten war, geht auch aus der Angabe aller Meister hervor. Es sind insgesamt zehn, davon vier namens Witkovsky. Die nicht bei ihm beschäftigten Maurer zählt er ebenfalls namentlich auf. Es sind 28.

Sein Tätigkeitsgebiet erstreckt sich schwerpunktmäßig auf Einsiedel an der Göllnitz/Mníšek nad Hnilcom, Schmöllnitz Hütte/Smolnícka Huta, Schmöllnitz/Smolník, Ahorn/Uhorná und Hansdorf/Helcmanovce. Aber er hatte auch Kunden in Wagendrüssel/Nalepkovo, Altwasser/Stará Voda, Schwedler/Švedlár, Prackendorf/Prakovce sowie in der Kreisstadt Göllnitz/Gelnica und den umliegenden Orten Margareten/Margecany, Sokelsdorf/Žakarovce, Kluknava, Reichenau/Richnava und Folkmar. Auch in Krompach/Krompachy (Kreis Zipser Neudorf), in Zeben/Sabinov bei Eperies sowie Stoß/Štós und Metzenseifen/Medzev war er aktiv.

Er baut viele neue Häuser, zum Teil mit Stall und Holzschoppen. Für den Grafen Imre Csáky errichtet er bei Hansdorf ein Jagdschlösschen. Auch etliche Unternehmen, so die Kotterbacher Berg- und Hütten-AG und verschiedene Sägewerke sowie mehrere Gemeinde- und Forstverwaltungen geben ihm Aufträge. So baut er unter anderem das Spritzenhaus und ein Schlachthaus in Helcmanovce. In Schmöllnitz Hütte erhält er neben vielen anderen Arbeiten auch den Auftrag, ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Weltkriegs zu errichten. Auch die Kirchengemeinden sind seine Auftraggeber. So in Einsiedel: „Katholische Kirche und Turm Verputz ausgebessert, Sockel mit Zement verputzt und mit Kalkfarbe gestrichen.“

Brunnenbau in der Zips

Einen besonderen Abschnitt widmet er dem Brunnenbau. Es sind insgesamt 32 Brunnen in verschiedenen Ausführungen und Tiefen. Einmal stößt er schon nach 2 Metern auf Wasser, in den meisten Fällen nach 6 bis 8 Metern und einmal muss 16 Meter tief gebohrt werden. Es werden Zementrohre verlegt oder der Brunnenschacht wird ausgemauert. Zum Fördern des Wassers werden Pumpen oder auch Kettenwinden eingesetzt. Dass das Brunnenbauen nicht ungefährlich war, zeigt folgende Schilderung: „In Helcmanovce bei Kuchta, Jan, Komissär, einen Brunnen gebohrt. Dabei einen Unfall gehabt. Ein Heringsfass ist mir selbst beim Hineinlassen in den Brunnen zum Wasserschöpfen aus den Händen geglitten und Johan Wirostek auf den Kopf gefallen. Er wurde so verletzt, dass ihm Dr. Benke die Wunde zunähen musste. Der Brunnen ist 8 mtr. tief.“

So hat unser Großvater in den Zipser Gründen viele noch heute sichtbare Spuren hinterlassen, nicht zuletzt das Witkovsky-Haus, das er selbst 1923 bis 1925 nach dem Abriss des väterlichen Hauses zweigeschossig gebaut hat.

Vertreibung und Flüchtlingsdasein

Die Vertreibung aus der Heimat beendete seine erfolgreiche Unternehmertätigkeit. Nach der vorläufigen Rückkehr in die Heimat aus dem Sudetenland 1945, verließ er das Lager in Thurzo, quartierte sich im inzwischen von Slowaken bewohnten eigenem Haus ein. Schlief dort auf Brettern in einem ausgeräumten Zimmer, mauerte Öfen bei slowakischen Familien und konnte so die im Lager verbliebene Familie mit Lebensmitteln vor Schlimmerem bewahren. Zu Beginn des Flüchtlingsdaseins in Deutschland konnte er seine in russischer Gefangenschaft hinzuerworbenen Fertigkeiten zum Wohle der Familie einsetzen. Er flocht Körbe aus Weidenruten, besohlte für alle die Schuhe und bastelte aus in der Schrottkuhle gesammelten Teilen ein funktionsfähiges Fahrrad zusammen. Mit dem Versuch, unserer Großmutter auf ihre alten Tage das Radfahren beizubringen, scheiterte er allerdings.

Am 1. August 1960 verstirbt der erfolgreiche und angesehene Einsiedler Maurermeister, Bauunternehmer und Alleskönner, der von seinen Enkeln besonders geschätzte Großvater im heutigen Bad Arolsen und der Herrgott fügte es, dass seine 1950 nach Amerika ausgewanderte Tochter, unsere liebe Tante Anni, bei ihrem ersten Besuch in Deutschland ihn am Sterbebett begleiten konnte.

Rudolf Göllner