
Mut zum (wissenschaftlichen) Schreiben
Nach der Emeritierung (1997) wurde ich gebeten am Lehrstuhl für Praktische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und am Lehrstuhl für Heilpädagogik sowie Lehrstuhl für Logopädie/Sprachheilpädagogik der Pädagogischen Fakultät der Comenius-Universität Bratislava mitzuarbeiten. Dann führte mich der Weg an die Pädagogische Fakultät der Konstantin-Universität Nitra, um am Lehrstuhl für Fremdsprachen den Studiengang „Deutsche Sprache“ mit aufzubauen. Bei dieser Tätigkeit als DAAD-Dozent und einem Wochenseminar mit Abiturienten der Unterzips in meinem Geburtsort Schwedler gab ich den Teilnehmern eine erste Handreichung für das Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten, die 2016 in der Wissenschaftlichen Reihe des BHP-Verlags erschien ist. Im Folgenden mache ich auf grundlegende Gesichtspunkte für das wissenschaftliche Schreiben aufmerksam.
Das Erstellen wissenschaftlicher Arbeiten (Bachelor-, Diplom-, Magister- oder Masterarbeiten) ist ein wesentlicher Bestandteil des Studiums. Diese Art von schriftlichen Arbeiten erfordert in der Regel eine thematisch geschlossene eigenständige Auseinandersetzung mit einer Fragestellung oder einem Problemkreis. Der Erkenntnisgewinn geschieht auf vier Ebenen:
- Wissen so wiedergeben und aktualisieren, dass es für weitere Arbeiten verfügbar ist.
- Gewonnenes Wissen daraufhin untersuchen, auf welchem Weg es entstand. Wie kommt der Autor zu dieser Aussage? In welchem Zusammenhang stehen Methode und Erkenntnis?
- Wissen zu anderem in Beziehung setzen, um neue Zusammenhänge anzubahnen.
- Erkenntnisse im Hinblick auf ihre Grenzen betrachten. Alternative Möglichkeiten für neue Erkenntnisse, Einsichten, Ergebnisse, Lösungen oder Handlungsmöglichkeiten sind aufzuzeigen. Das Ergebnis wird kritisch betrachtet und es wird Ausschau gehalten nach weiteren Möglichkeiten des Erkennens.
- Kann ich dieser Darstellung zustimmen?
- Welche Gedanken würde ich stärker betonen oder anders formulieren?
- Was muss ich kritisch betrachten oder gar ablehnen?
- Wie versteht der Autor die verwendeten Begriffe?
- Kann ich das Gelesene mit eigenen Praxisbeispielen belegen?
- formal nach Verfassern, Alphabet oder sachlich begründeten Stichwörtern, nach Erscheinungsjahr, nach Primärliteratur (Werke, Quellen) und Sekundärliteratur (Handbücher, Nachschlagewerke, Zeitungsartikel);
- inhaltlich nach sachlicher, historischer und systematischer Zugehörigkeit, um Art und Inhalt des Materials zu erschließen.
- Regel 1 – Jene Stellen, die analysiert und interpretiert werden sollen, werden einigermaßen ausführlich zitiert.
- Regel 2 – Textstellen aus der Sekundärliteratur werden nur zitiert, wenn sie wegen ihres Gewichts unsere Auffassung unterstützen oder bestätigen.
- Regel 3 – Wer zitiert, lässt damit erkennen, dass er die Ansicht des zitierten Autors teilt, es sei denn, er bringe im Zusammenhang mit dem Zitat etwas anderes zum Ausdruck.
- Regel 4 – Aus jedem Zitat müssen sich der Autor und die Quelle […] klar ergeben.
- Regel 5 – Die Primärquellen werden, wenn möglich, nach der kritischen Ausgabe oder nach der anerkanntesten Ausgabe zitiert.
- Regel 6 – Ist ein fremdsprachiger Autor Gegenstand der Untersuchung, so wird in der Originalsprache zitiert.
- Regel 7 – Die Verweisung auf Autor und Werk muss klar sein.
- Regel 8 – Überschreitet das Zitat nicht den Umfang von zwei oder drei Zeilen, kann es im Text des Absatzes in Anführungszeichen gebracht werden.
- Regel 9 – Die Zitate müssen wortgetreu sein.
- Regel 10 – Zitieren ist wie in einem Prozess etwas unter Beweis stellen. Ihr müsst die Zeugen immer beibringen und den Nachweis erbringen können, dass sie glaubwürdig sind. Darum muss die Verweisung ganz genau sein.
- Angemessenheit (sachlicher Stil, Verzicht auf Weitschweifigkeit, einfache und ungekünstelte Ausdrucksweise, den tatsächlichen Sachverhalt klar darstellen, Argumente gut und einleuchtend begründen, schwulstige Wendungen und gespreizte Sätze vermeiden);
- Kürze (anregende Darstellung durch kurze Sätze).
- Anschaulichkeit (Einzelheiten verarbeiten, Konkretes überzeugt und macht lebendig, überzeugende Details fesseln, anschauliche Vergleiche helfen beim Verständnis, Schlüsselbegriffe sind wichtig, Skepsis kann als Kunstgriff hilfreich sein).
- Klarheit (Hauptgedanken betonen, in anderen Wendungen wiederholen, klare Gedankengänge und logische Geschlossenheit, sprachliche und begriffliche Ordnung, Klarheit durch Beschreibung, Beispiele, Vergleich, Unterscheiden von Ähnlichem).
- Bedeutsamkeit (Interessantes, Besonderes, Exemplarisches, Bedeutungsvolles oder Originelles sollte möglichst dem eigenen Denken entspringen und entsprechend dargestellt werden).
- Beachte also: Logisch und widerspruchsfrei argumentieren; um begriffliche Klarheit und Eindeutigkeit bemüht sein; dem eigenen Stil folgen; keine Superlative verwenden und auf begründende Bindewörter achten (daher, deshalb, deswegen, darum, folglich, demnach).
Uni.-Prof. Dr. Dr. et Prof. h.c. Ferdinand Klein
