Denkanstöße

Persönliche Denkanstöße für die vorweihnachtliche Zeit

Wir stehen mitten im Prozess sozialer Umbrüche. Das Gesellschaftsmodell der neoliberalen Marktwirtschaft, das den Bedarf des Einzelnen nicht mehr hinreichend beachtet, steuert einen radikalen Kurs der Umverteilung zulasten der Menschen, die bereits benachteiligt sind. Das untergräbt die Grundlagen unseres Rechtsstaates.

Darauf weisen die deutschen Armutsberichte der letzten Jahre hin. Kinderarmut und Ausgrenzung sind von neoliberalen Denk- und Handlungsmustern nicht zu trennen. Ellenbogenmentalität und soziale Kälte breiten sich weiter aus und spalten die Gesellschaft. Der andere wird häufig zum Objekt der eigenen selbstbezogenen Wünsche.

Das steht quer zu dem, dass in unserem Gemeinwesen jeder das Gefühl haben sollte, gehört zu werden und im Miteinander ein grundlegendes Gefühl der Gerechtigkeit entwickeln kann. Ist das nicht gegeben, dann bröckelt der Zusammenhalt. Das ist heute gegeben, da eine grundlegende Machtverschiebung in Richtung Ökonomie gegeben ist. Das hat eine ungeheure demoralisierende Wirkung auf das Gemeinwesen und untergräbt die Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates.

Viele Menschen leben in Angst

Diese Umbrüche und Entsolidarisierungstendenzen erzeugen bei vielen Menschen Unsicherheit. Sie finden keinen ausreichenden Ratgeber mehr und leben in existentieller Angst. Weit verbreitet ist die Angst vor dem Anderen. Noch vor Jahrzehnten hatte man Angst vor einem bestimmten Schuldigen, den man ausmachen und bekämpfen konnte. Heute kann man die Ursachen der Angst nicht mehr dingfest machen und gezielt angehen. Es können verschiedene, miteinander verwobene Ursachen ausfindig gemacht werden. Liegen sie im Beziehungsgeflecht mitten unter uns?

Sozialpsychiater weisen auf eine sich entwickelnde „autistische Gesellschaft“ hin. Sie sehen in der autistischen Beziehungsstörung mit der ihr eigenen Gefühlskälte und Distanz zum anderen Menschen eine Gefahr für die Demokratie, für das Denken in Freiheit.

Sozialgeschichtliche Studien sind heute aktuell

Das erkannte bereits 1974 der Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm (1900 – 1980) in seinen Studien. Fromm beschreibt den biophilen Menschen und den nekrophilen Menschen: Der biophile Mensch lebt „Ehrfurcht vor dem Leben“ (Albert Schweitzer) und die Achtung des Anderen; er pflegt Liebe zum Leben durch Hingabe, Freude und Kreativität. Der nekrophile Mensch hat Destruktivität, Mechanik und Technik des Lebens im Blick, die sich in Macht, Gier und Ichbezogenheit äußern.

Bemerkenswert an Fromms Studie ist ihre Aktualität. Erich Fromm warnt vor jenen Menschen-Führern, die ihren kühlen und berechnenden Verstand benutzen und das Herz verhärten. Er konstatiert eine zerstörende Macht bei jenen Menschen, die mit Leidenschaft das Lebendige zerstückeln und genau kontrollieren wollen. Fromm erkannte, dass Menschen im Zusammenleben nach ökonomischen Gesichtspunkten so verwaltet werden, als ob sie Dinge wären. Dadurch verwandeln sie sich unmerklich in Dinge und sie gehorchen den Gesetzen der Dinge. Aber der Mensch ist nicht zum Ding geschaffen, der nach ökonomischen Gesichtspunkten verwaltet werden kann.

Ökonomisierung dominiert in der europäischen Bildungspolitik

Bildung wird heute weitgehend wie ein funktionierender Wirtschaftsbetrieb verstanden. Der Bologna-Prozess steht auf dem Prüfstand. Das Bildungssystem kann nicht technokratisch umgesteuert und nach ökonomischem Muster (messbare Leistung, Steigerung der Effizienz) verwaltet und verrechnet werden. Inzwischen wird ein europäischer Qualifikationsrahmen angestrebt, der sogar den kulturellen Fundus des einzelnen Landes negiert.

Das deutet auf eine Krise des Menschenbildes hin. Von dieser Krise spricht Papst Franziskus. Er sieht ein Denken überhandnehmen, das den Menschen auf ein Bedürfnis reduziert: den Konsum. Und schlimmer noch, heute wird der Mensch selbst als Konsumgut betrachtet, den man für eigene Zwecke benutzt. Das steht quer zur Kraft der Freiheit im menschlichen Miteinander.

Fragen, die jeder selbst beantworten kann

Drohe ich durch meinen freien Ich-Bezug zum Sklaven des materiellen Lebens zu werden? Ist nicht ein Freisein für den Stern von Bethlehem geboten, der uns Liebe zum Leben, das Denken in Freiheit und Verantwortung für den Nächsten ermöglicht?

Ferdinand Klein