Rezension: Mit Janusz Korczak Inklusion gestalten

Mit seinem neuesten Buch legt Ferdinand Klein mit Fug und Recht in vielerlei Hinsicht ein als „persönlich“ zu charakterisierendes Werk vor. Die Dimensionen, für welche vorstehendes Attribut verwendet werden soll, seien wie folgt beschrieben.

Prof. Klein schafft vielfältige Verbindungen eigener Lebens-und Praxiserfahrungen und deren Reflexionen mit wissenschaftlichen Fragestellungen und Erkenntnissen und erweitert so den Wissenschaftsbegriff. Dieses Buch berührt persönlich: Die LeserInnen sind gefordert, sich in Beziehung zu den Inhalten zu setzen – nicht nur auf einer intellektuellen Ebene. Der Mensch Korczak wird mit seinen Gedanken und vor allem Handlungen in den Mittelpunkt gestellt und berührt durch sein Sein. Dieses fordert jedoch eine aktive und ganzheitliche Auseinandersetzung, ganz im Sinne eines von Klein gewählten Zitates: „Ich befürchte, die Leser könnten geneigt sein, mir Glauben zu schenken. Dann würde dieses Buch ihnen zum Schaden gereichen“ (Korczak, hier zitiert nach Klein).

Erziehung als Haltung

Die pädagogische Maxime Korczaks und Kleins lautet klar und deutlich: Das Sein des Erziehers ist das „erste Wirkende“, das Tun steht an zweiter Stelle und erst dann folgt, was er redet (vgl. S. 83). Erziehung ist daher (primär) eine Haltung (S. 87ff.). Korczaks so geliebte und wahrlich gelebte „kleine Republik“ im Warschauer Ghetto ist Beleg für die Möglichkeit eines demokratischen und achtsamen Miteinanders und wechselseitigen Umgangs (wofür Klein auch aktuelle Beispiele bringt).

Das aus Leben und Werk Korczaks abgeleitete Diktum, dass „Erzieher und Kind […] miteinander auf dem gemeinsamen Weg, sich zu bessern“ seien, ist die historische Korczak-Pädagogik, die „anschlussfähig an heutige Diskurse, wenn von der professionellen Kompetenz als nie endende Selbstentwicklungsaufgabe gesprochen wird“ ist (ebenda).

Sich auf die Seite der Kinder begeben

Der Verfasser schürt keine Strohfeuer der Begeisterung, deren Flammen hoch schlagen, um schnell wieder in sich zusammenzusinken. Klein bezieht Stellung: Er steht für eine „Pädagogik der Achtung“, widmet sich so dem von ihm behandelten Inhalt und lädt die LeserInnen ein, sich klar auf die Seite der Kinder zu begeben. Das persönliche Anliegen ist auf jeder Seite des Buches spürbar und kann Beziehung zwischen Autor und LeserIn schaffen.

In acht grundlegenden Kapiteln wird hierbei Ferdinand Kleins aufgegliedertes Herzensanliegen klipp und klar und in einer von ihm entwickelten Form von „Handlungsethik“ verständnisvoll und dabei leserfreundlich und wirkungsvoll geschildert. Er entwickelt Möglichkeiten und Perspektiven einer Pädagogik, die in Form einer unmittelbaren einander wirkenden Ich-Du-Begegnung als bewusste Anerkennung der Würde des anderen wirksam werden können. Hierbei sind aber die/der ErzieherIn stets aufgefordert, auch die „eigene Unwissenheit“ vom „Hohen Himmel eigener Unübertrefflichkeit herabzusteigen und somit sich in den intersubjektiven Dialog zu begeben, wobei Transformationen selbstverständlich zugelassen sein müssen und auch sind.

Also: vom „Haben“ zum „Sein“ (Fromm, vgl. besonders Kap. 1 – 3), wie auch vom Herrschen zum Dienen (Kap. 4.2) sowie vom Wissen zum Fragen (vgl. hierzu besonders Kap. 8).

Inklusionspädagogische Perspektiven

Klein wählt Korczak als Beispiel und Vorbild für ein Denken und eine Pädagogik, welche nach dem „Wie“ des pädagogischen Handelns fragt und aus der „Idee des Guten“ antwortet (S. 208). Damit zeigt er „inklusionspädagogische Perspektiven“ (Kap. 8.5) auf. „Problemlösen“ (S. 174) als zentrale Aufgabe führt zu der „Einsicht, dass Inklusionspädagogik eine stets an den Mann zu bringende intersubjektive und eigentlich eine überweltliche Disziplin ist“.

Prof. Klein führt Beispiele gelingender Praxis und vielfältige Anregungen in der Suche nach pädagogischen Handlungsmöglichkeiten in einer umfangreichen Weite auf, so dass LeserInnen bestätigt werden, Möglichkeiten einer die Individualität achtenden Pädagogik immer wieder neu zu entwickeln.

Es sei noch hinzugefügt, dass diese angesammelten Erfahrungen zugleich eine überzeitliche und überdimensionale Bewertung aufzuweisen haben, da der Verfasser zugleich Parallelen zur Warschauer Republik von Januzs Korczak zu ziehen weiß und diese dem Leser plastisch vor Augen führt.

Heilpädagogik in der Slowakei

Hierin wurzelt auch seine tiefe persönliche Beziehung, ja Vorliebe für Schwedler und seine Landsleute in der Slowakei, ja sogar seine von ihm mitgestaltete Heilpädagogik, die dank seines Engagements unter der Bezeichnung „Liečebná pedagogika“ als Lehrfach in der Slowakei, wo in seinem Heimatdorf Schwedler in der Zips einst seine Wiege stand, weit und breit Schule macht.

Statt bloßer Gefühle senkte er zudem das kühle Wissen um die unerbittliche Notwendigkeit dieser angedeuteten Auseinandersetzung für jeden einzelnen von uns in seinem Herzen und Wesen des Hörers und Lesers, statt eines Zahlen- und Wortrausches pflegte er den Glauben an die zusammen und zugleich doch selbst entdeckte tatsächliche Kraft; statt eitler Zukunftsträumerei schmiedete er den unbeugsamen, und zähen Willen zur Achtung und Würdigung des Lebens und schließlich des Lebens selbst.

Oswald Lipták

Über das Buch

„Mit Janusz Korczak Inklusion gestalten“ von Ferdinand Klein kam 2018 im Vandenhoeck & Ruprecht-Verlag in Göttingen heraus. Die Publikation umfasst 224 Seiten. Der Autor selbst stammt aus Schwedler/Švedlár und ist langjähriger Professor für Heil- und Sonderpädagogik.