„Die Geisteswissenschaften haben ein spezifisches Problem“
Miloslav Szabó ist ein erfolgreicher Historiker und Germanist. Er hat mehrere Stipendien für seine wissenschaftliche Arbeit bekommen und lehrt zur Zeit an der Comenius-Universität in Preßburg/Bratislava. In unserem Gespräch verrät er, wie man sich als Historiker durchsetzt, wie man junge Menschen für Geschichte begeistert und was er nach der Erscheinung des Buches „Die Klerikofaschisten“ plant.
Sie sind Historiker und Germanist an der Comenius-Universität in Preßburg/Bratislava, derzeit leben Sie aber in Wien. Wieso haben Sie sich entschieden, in Wien zu wohnen?
Ich bin Akademiker und wie viele andere bin ich lange Zeit von einem Ort zum anderen gezogen. Insbesondere im deutschsprachigen Raum, wo ich seit meinem Studium bis vor wenigen Jahren gewirkt habe, ist man gezwungen, alle paar Jahre die Institution zu wechseln. Wir haben uns gerade in Wien befunden, als sich die Möglichkeit geboten hat, beruflich in die Slowakei zurückzukehren. Nicht zuletzt wegen meiner deutschsprachigen Familie hab ich es bevorzugt, zwischen Wien und Bratislava zu pendeln.
Sie arbeiten am Lehrstuhl für Germanistik, Niederlandistik und Skandinavistik. Dort lehren Sie Kurse wie „Deutsche Kultur und Literatur des 20. Jahrhunderts“ oder „Erinnerungsorte der deutschsprachigen Länder“. Was sind die Schwerpunkte von diesen Veranstaltungen?
Bei den „Erinnerungsorten“ handelt es sich um eine Einführung in die Geschichte der deutschsprachigen Länder, sie richtet sich an Anfänger. Der Geschichtsunterricht soll hier zum selbständigen Denken über die Vergangenheit anregen, indem nicht bloß Daten, Namen und Ereignisse auswendig gelernt werden sollen, sondern auch nach den Zusammenhängen gefragt wird. „Deutsche Kultur und Literatur des 20. Jahrhunderts“ bietet anhand der Lektüre kurzer Texte berühmter Autorinnen und Autoren einen Überblick über die wichtigsten literarischen und kulturellen Tendenzen in der deutschsprachigen Welt des vergangenen Jahrhunderts.
Herr Szabó, in Ihrem Buch „Von Worten zu Taten. Die slowakische Nationalbewegung und der Antisemitismus 1875–1922“ widmen Sie sich dem slowakischen Antisemitismus vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Warum ausgerechnet dieser Zeit?
Weil die Erforschung des slowakischen Antisemitismus nach wie vor auf die Jahre 1938 bis 1945, als in der Slowakei das Regime der Hlinka-Partei herrschte, beschränkt bleibt. Die offizielle antisemitische Politik dieser Zeit, die in der Entrechtung und den Deportationen der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager gipfelte, konnte jedoch an ideologische Muster anschließen, die im 19. Jahrhundert ihre Wurzeln hatten. In meinem Buch habe ich das Wesen des älteren slowakischen Antisemitismus gezeigt und ihn gleichzeitig in den europäischen Kontext eingeordnet.
Welche Parallelen zu der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg sehen Sie vielleicht auch heute noch?
Ich weiß nicht, ob wir von Parallelen reden sollten. Jede Zeit hat ihre typischen Probleme. Was mich beunruhigt, ist die Neigung sehr vieler Menschen damals wie heute, einfachen Welterklärungen Glauben zu schenken. Mit anderen Worten: eine gewisse Bequemlichkeit oder Unwille, sich der komplizierten und kaum eindeutigen Wirklichkeit zu stellen. Daraus resultieren dann auch die heutigen Erfolge verschiedener Verschwörungstheorien.
In der slowakischen Sprache erschien das Buch „Die Klerikofaschisten. Slowakische Priester und die Versuchung radikaler Politik (1935 – 1945)“. Wieso ist dieses Thema für Sie so wichtig?
Die Geschichte des Slowakischen Staates, eines Satelliten NS-Deutschlands zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, beschäftigt die slowakische Öffentlichkeit noch 75 Jahre nach seinem Untergang. Keine andere historische Persönlichkeit polarisiert die Slowaken mehr als der damalige Staatspräsident, Jozef Tiso, der katholischer Priester war. Tiso war jedoch bei weitem nicht der einzige Geistliche, der der Versuchung radikaler Politik erlag. Ich wollte die Aufmerksamkeit auch auf diese anderen „Klerikofaschisten“ lenken, über die man nur wenig wusste.
Wie würden Sie Jugendlichen in wenigen Sätzen die historische Bedeutung des „Klerikalfaschismus“ erklären?
Vor allem würde ich ihnen erklären, dass sie zwischen einer Religion, beziehungsweise Kirche und der Politik unterscheiden müssen. Wenn dieser Unterschied verloren geht, kann es passieren, dass auch Männer, die in erster Linie im Zeichen der Verkündigung der frohen Botschaft und Liebe leben sollten, ihre Mitmenschen in Freunde und Feinde teilen. In einer Zeit, in der sich in ganz Europa die Politik radikalisiert hat, musste eine solche Versuchung schlimme Folgen nach sich ziehen.
In letzter Zeit sind Sie in der slowakischen Gesellschaft bekannter geworden. Was meinen Sie zu der Aussage, dass Jugendliche mehr Vorbilder aus der Wissenschaft brauchen?
Ich will nicht allgemein von der Wissenschaft sprechen. Die Geisteswissenschaften haben ein spezifisches Problem, sie sind nämlich zunehmend gezwungen, sich zu rechtfertigen, warum sie mit öffentlichen Mitteln finanziert werden sollen. Ich finde diesen Druck absurd, wie nicht zuletzt die oft ahnungslosen öffentlichen Debatten über den Rechtsradikalismus oder den Totalitarismus überhaupt zeigen. Andererseits müssen sich aber auch die Wissenschaftler selbst mehr engagieren. Sie dürfen nicht freiwillig ihr Dasein in einem Elfenbeinturm fristen. Ich meinerseits versuche, mich zu Wort zu melden.
Was sind die Hauptmotive, heutzutage Deutsch zu lernen?
Der Deutschunterricht hat in den letzten Jahrzehnten an Attraktivität verloren. Das ist eine der Folgen der Globalisierung, wogegen sich wenig machen lässt. Englisch verdrängt Deutsch beinahe auf allen Ebenen, allmählich sogar in der Germanistik. Die meisten slowakischen Studierenden wählen offensichtlich Deutsch als Zweitfach. Immerhin finden sich unter ihnen immer einige, die sich dann entscheiden, ihre Abschlussarbeit auf Deutsch zu schreiben.
Wie kann man unsere Jugend noch mehr motivieren, die deutsche Kultur und Werte in der Slowakei zu erhalten?
Ich sehe kein Allheilmittel. Meiner Meinung nach geht ein entsprechendes Interesse immer mit allgemeiner Offenheit für Fremdes und dennoch Nahes einher. Oft reicht ein Impuls, ein Bewusstsein dafür, dass die Slowakei früher ein multiethnisches und multikonfessionelles Land war. Dann kommt auch schon die Neugier.
Welche Themen planen Sie in der Zukunft der Gesellschaft näherzubringen?
Ich habe noch keinen konkreten Plan. Seit einiger Zeit fasziniert mich, was in den Köpfen der Menschen geschah, nachdem 1989 die Zensur plötzlich aufgehört hatte.
Was sollten wir aus der Geschichte für die Zukunft lernen?
Dass Menschen schon immer Dummheiten und Fehler gemacht haben und dass es auch in Zukunft nicht aisch besser wird.
Das Gespräch führte Hubert Kožár.