Die Kirche in Magurka

Ein Denkmal, das fehlte

Am 18. Juni wurde in der Gemeinde Deutsch Liptsch/Partizánska Ľupča, Ortsteil Magurka ein Denkmal für die 70 Kuneschhauer, die dort Ende Oktober 1944 erschossen wurden, enthüllt. Parallel erinnert an dieses tragische Ereignis auch ein neues Denkmal am Friedhof in Kuneschhau.

Die Herbstmonate 1994 gehörten sicher zu den meist behandelten Zeitabschnitten der Geschichte der Slowakei. Auch wir, die Karpatendeutschen, haben schon mehrmals unseren Respekt vor dem damaligen Kampf des slowakischen Volkes für Freiheit und Unabhängigkeit, gegen Nationalsozialismus und Diktatur geäußert. An diesem Kampf waren auch einige hundert Karpatendeutsche, vor allem aus dem Hauerland und Bodwatal, beteiligt.

In das Gesamtbild dieser bewegten Zeiten gehören aber auch die Tragödien der deutschen Zivilbevölkerung der Slowakei, vor allem im Hauerland, über die man nur selten spricht. Von den um die 700 karpatendeutschen Opfern erwähnen wir nur die größten: Am 21. September 1944 wurden in Glaserhau 187 Zivilisten erschossen, in Rosenberg 146, am 26. September in Schemnitz 83, Ende Oktober 1944 sind in Magurka in der Niederen Tatra 70 Kuneschhauer ums Leben gekommen, in Deutsch Proben erinnert man sich an mindestens 32 Ermordete, in Krickerhau waren es mehr als 26.

Auch diese Gräueltaten haben ihren Platz in der Geschichte der Slowakei. Neben Forschungen und Publikationen zu diesen Themen ist die Errichtung von Gedenkstätten an diese Ereignisse besonders wichtig. In Glaserhau und in Schemnitz haben unsere Landsleute auch mit unserer Unterstützung noch in den 1990er Jahren würdige Denkmäler errichtet. Es fehlte aber noch ein Denkmal an die 70 unbewaffneten Männer aus Kuneschhau, die in Magurka in der Niederen Tatra Ende Oktober 1944 erschossen wurden.

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Das Denkmal am Friedhof in Kuneschhau

Der Weg zur Tragödie in Magurka

Im östlichen Teil des Hauerlandes, mit der Bezirksstadt Kremnitz/Kremnica als wirtschaftlichem Mittelpunkt, gab es zehn deutsche Dörfer, darunter auch Kuneschhau. Anfang Oktober 1944 wurde verfügt, dass alle Burschen und Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren sich mit Werkzeug für Erdarbeiten sofort auf dem Dorfplatz zu versammeln haben. Von dort bewegten sich diese durch Drohungen gefügig gemachten Dörfler unter Bewachung in Richtung Kremnitzer Bahnhof. Auf dem nahe gelegenen Kasernengelände mussten sie mehrere Tage misshandelt, beschimpft und ohne ordentliche Verpflegung ausharren, bis die etwa 1.700 Männer verladen und ins Grantal/údolie Hrona abtransportiert wurden, wo sie für den Bau von Befestigungsanlagen eingesetzt wurden. In der letzten Oktoberwoche, als sich die zur Niederschlagung des Aufstandes herbeigeeilten deutschen Truppen ins Grantal vorkämpften, zogen sich die Bewacher zurück. Die verschleppten Deutschen machten sich völlig verunsichert in kleineren Gruppen aus dem Grantal auf den Heimweg auf. Die meisten schafften es in dem ausbrechenden Chaos in qualvollen Fußmärschen über Berg und Tal nach Hause zu gelangen, aber mehr als 150 der Verschleppten kamen auf diesem Heimweg noch zu Tode. Ein solches Schicksal erlitt auch eine Gruppe von 70 Männern aus Kuneschhau.

Leidensweg der 70 Kuneschhauer mit tragischem Ende

Lassen wir Anton Prokein (geb. 1927), einen der drei Kuneschhauer, die dem Erschießungstod in Magurka entkommen konnten, über die damaligen Ereignisse berichten (aus: Johann Rückschloß: Massenmord an Hauerländern in der Niederen Tatra. Karpatenjahrbuch 1994, S. 65 – 67).

„Am Mittwoch, dem 25. Oktober 1944, am späten Nachmittag nach Rückkehr von der Arbeit wurde bekannt gegeben, daß alle Internierten nun frei seien und heimgehen könnten. Unsicherheit machte sich breit. Wie sollte man aus der Gegend von Podbrezová nach Kremnitz gelangen? Einer der Verschleppten, der Gastwirt und Posthalter Anton Gürtler aus Kuneschhau, scharte 72 Männer um sich und versprach ihnen, sie auf schnellstem Wege vom Grantal über den Kamm der Niederen Tatra ins Waagtal nach Rosenberg/Ružomberok zu bringen (…) Die Gruppe folgte Gürtler, marschierte während der Nacht und hielt sich tagsüber aus Furcht vor Partisanen in Feldställen versteckt. Am Freitagvormittag des 27. Oktober 1944 kamen Männer nach Überquerung des Kammes der Niederen Tatra zu einem größeren leerstehenden Stall, in dem einmal Pferde untergebracht waren, die man wohl bei der Holzabfuhr brauchte. Hier fiel die Gruppe einer kleineren Partisaneneinheit in die Hände. Alle Männer wurden zunächst in diesen Stall gesperrt. Dann aber führte man jeweils 10 bis 15 Mann auf eine waldnahe Wiese. Zuvor wurden den Leuten Uhren, Ringe und Geldbörsen abgenommen. Bald darauf hörten die Eingesperrten Feuer aus Maschinenpistolen. Am späten Nachmittag wurden die letzten Männer erschossen.“

Wie sich Anton Prokein rettete?

„Nach der Beendigung dieser Schreckenstat kehrten Partisanen noch einmal in den Stall zurück und fanden Anton Prokein unter einem Fuhrschlitten versteckt (…) zwischen zwei Partisanen stehend hörte er ‚Zastreliť!‘ (Erschießen!) (…) Da stieß Prokein die zwei Partisanen mit beiden Fäusten zur Seite, rannte aus dem Stall, dann durch einen Garten, ließ sich fallen und rollte über einen steilen Hang bergab (…) Er merkte, daß auf ihn geschossen wurde (…) Er wartete noch die Dunkelheit ab, bevor er den Weg im Talgrund fortsetzte (…) Nach vielen Strapazen traf Prokein zwei weitere Kuneschhauer, die bei seiner Gruppe waren und ebenfalls entkommen konnten. Mit diesen erreichte er am Nachmittag des Allerheiligentages Kuneschhau (…) Den Kuneschhauern Anton Prokein, Josef Neuschl und Franz Ernek fiel nun die traurige Aufgabe zu, der Gemeinde vom furchtbaren Geschehen in der Niederen Tatra zu berichten.“

Tote ohne Bestattung

Wegen der Kriegsereignisse in den damaligen Wochen, der großen Entfernung und auch der angefangenen Evakuation der Kuneschhauer sind die Leichen dort geblieben, wo sie erschossen wurden. Die Verwandten hatten keine Möglichkeit, sie ordentlich zu bestatten und die meisten Kuneschhauer kamen nach dem Krieg nicht mehr in die Slowakei zurück.

Der Kuneschhauer Alois Drienko (geb. 1923), katholischer Geistlicher, der in der Slowakei geblieben ist, versuchte die Stelle der Hinrichtung zu finden. Unter den Erschossenen war auch sein Vater Alois Drienko (1888 – 1944). Durch seine Beziehungen mit den slowakischen Geistlichen ging er mit einem Förster aus Deutsch Liptsch an den Ort, wo die Waldarbeiter nach dem Kriegsende beim Wegräumen von Erdmassen, die infolge eines Erdrutsches talwärts geschoben wurden, Schuhe, Kleidungsstücke, Ausweise und vor allem Skelettteile gefunden haben. So konnte nachgewiesen werden, dass es sich um die erschossenen Kuneschhauer handelte. Pfarrer Drienko hielt in der kleinen Kirche in Magurka eine schlichte Gedenkfeier. Das wiederholte er an demselben Ort auch beim Besuch der Kuneschhauer aus Deutschland in den Jahren 1986 und 1990.

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Pfarrer Drienko mit Trachtenträgerinnen beim Kirchweihtreffen 1990 in Schlierbach

Würdiges Denkmal

Um eine Erinnerungsstätte in Magurka zu errichten, haben sich die Kuneschhauer Vereinsmitglieder Viliam Neuschl, Ján Ihring, Alojz Patsch und Alojz Vaský mit einem ausführlichen Schreiben am 9. September 2020 an den Bürgermeister von Kuneschhau Peter Slašťan gewendet. Der Karpatendeutsche Verein bat am 26. Oktober 2020 das Museum SNP in Neusohl/Banská Bystrica, sich zu diesem Vorhaben zu äußern. Am 9. April 2021 bekamen wir die offizielle Stellungnahme, dass das Museum SNP „(…) unterstützt das Vorhaben zur Errichtung eines Denkmals an die Opfer aus Kuneschhau während des SNPs.“ Genauso unterstützten die Bürgermeister von Deutsch Liptsch und Glaserhau die Errichtung des Denkmals. Große Unterstützung leisteten auch die Kuneschhauer im Ausland an der Spitze mit Ľuboš Ihring.

Massenmorde, egal, ob sie jetzt passieren oder bereits vor 80 Jahren, dürfen nicht aus der Geschichte gestrichen werden. Allen Völkern dieser Erde muss das Recht zugebilligt werden, über erfahrenes Leid sprechen zu dürfen und die Opfer zu betrauern. Das muss auch für die Karpatendeutschen gelten, zumal Trauerbewältigung die Grundlage für ein positives, dialogfähiges Nachvorneblicken ist. Dafür ist die Errichtung der Gedenkstätte für die Kuneschhauer in der Niederen Tatra besonders wichtig.

Ondrej Pöss