Erinnerungen an Ostern in Kesmark
Wenn ich als Kind Osterkarten sah, mit kleinen Mädchen und Buben, die mit weißen Socken und leicht bekleidet in einen Garten mit grünem Rasen und blühenden Obstbäumen bunte Ostereier suchten, hielt ich das für eine fantasievolle, märchenhafte Darstellung. Bei uns in Kesmark lag oft noch Schnee.
Die österliche Zeit begann bei uns eigentlich schon mit dem sogenannten „Schwarzen Sonntag“, also dem Passionssonntag. An diesem Tag war in Kesmark, wie man sagte, „Ablass“, es wurde das Kirchweihfest der Kreuzkirche gefeiert. Aus der Umgebung, den Dörfern und Gemeinden unter der Hohen Tatra, kamen die Leute aus diesem Anlass nach Kesmark, wo sie zugleich ihre Osterbeichte verrichteten. In der Nähe der Kirche wurden Verkaufsstände, die sogenannten „Tschater“ (ungarisch Sator) aufgestellt.
Die Buben kauften sich da ihre bunten Kugerln und die schillernden Glaskugeln, die hier in größter Auswahl angeboten wurden und die sie ab dieser Zeit daheim, vor dem Haus, auf den Straßen und Gassen zum Kugelspielen verwendeten.
Das beliebteste Zelt war das des Wachsziehers und Lebzelters Karl Hayde, der am Hauptplatz seinen ständigen Verkaufsladen hatte. Was man dort alles, abgesehen von den verschiedensten schönen Kerzen, an Köstlichkeiten und Leckereien erhalten konnte, hatte nicht sobald seinesgleichen. Am begehrtesten waren die nach Zimt und Nelken duftenden, herrlich schmeckenden „Debreziner“. Das war ein Honigteig, im Model mit verschiedenen Verzierungen geformt, zu kleinen bis tellergroßen Lebzeltplätzchen gebacken.
Beginn der Osterräumerei
Nach dem „Schwarzen Sonntag“ wurde mit der Osterräumerei begonnen, denn in der Karwoche herrschte schon stiller Ernst. Man besuchte die Gottesdienste und las täglich ein Kapitel aus der Leidensgeschichte. Am Palmsonntag wurden die Palmenweihe – als „Palmzweige“ dienten ausschließlich Palmkatzerl – mit Palmprozession in der Kirche und die Zeremonien, wie in Domkirchen, abgehalten. Die Tür zwischen der Kreuzkapelle und dem eigentlichen Kircheninnern wurde geschlossen.
Nach Wechselgesängen zwischen dem in der Kirche verbliebenen Chor und dem in der Kreuzkapelle versammelten Klerus und nachdem der Priester mit dem Schaft des Kreuzes dreimal an der Tür angeklopft hatte, wurde diese wieder geöffnet (Symbol für die Wiedereröffnung des verschlossenen Paradieses durch den Erlösungstod Christi) und der Klerus zog in die Kirche ein, wo das heilige Amt begann.
Froschschenkel mit Spinat
Ab dem Palmsonntag wurde kein Fleisch mehr gegessen. Am Gründonnerstag gab es allerdings etwas „Fleischiges“ zum obligaten Spinat, und zwar „Dschaben“. Das waren Froschschenkel paniert und ausgebacken. Besonders schmackhaft waren sie, wenn es noch kein frisches grünes Gras gab. Der Gründonnerstagsgottesdienst fand damals noch am Vormittag statt. Die Kirche war zum Bersten voll.
An diesem Tag gingen selbst die größten Sünder zum Tisch des Herrn. So wurden die Gefangenen aus dem Bezirksgericht unter der Aufsicht des Herrn Valent mit geschultertem Gewehr in die Kirche geführt, was für die Kinder eine Sensation war. Zum feierlich intonierten „Gloria“ erklangen sämtliche Glocken und Glöckchen zum letzten Mal und wurden von den hölzernen „Kleppern“ (ein kleines Brett mit einem Stil zum Halten nach unten, nach oben mit einem kleinen zweiseitig beweglichen Hammer, der auf dem Brett anschlägt) bis zur Auferstehungsfeier abgelöst. Statt des Glockengeläutes zu den Tagzeiten und zum Kirchgang zogen die Buben mit diesen Kleppern um die Kirche herum und klepperten gehörig.
Am Ostersonntagmorgen brachte man in einem Körbchen gekochten Schinken, Zunge, Kren, Käse, Eier, Brot, Salz, Wein und Kuchen zum Weihen in die Kirche. Davon wurde als erstes, noch vor dem Frühstück, gegessen. Natürlich brachte uns Kindern der Osterhase ein Osternest mit allerlei bunten Eiern, Piperln und Häschen aus Schokolade. Auf dem festlich geschmückten Ostertisch gab es u. a. das gebackene Osterlamm, einen Kuchen in Lämmchenform, mit Wolle aus gespritztem Zucker und kunstvoll bemalte Ostereier, in die mit einem Messer oder einer Nadel Verzierungen, Blumen, Ornamente, Namen und Sprüche eingeritzt waren.
Das österliche Baden
Mündlich oder schriftlich an weibliche Personen vorgetragene Osterwünsche endeten immer mit der Floskel: „…und viele Bader!“. Das bezog sich auf das „Baden“, einen allgemein verbreiteten Brauch am Ostermontag. Die Herren kamen die Damen, die jungen Burschen die jungen Mädchen und die kleinen Buben die kleinen Mäderl mit Parfüm guter und weniger guter Sorte zu begießen. Die Fläschchen hatten einen eigenen Verschluss, mit dem man die duftende Flüssigkeit auf das Objekt seiner Verehrung versprühen konnte.
Die „Bader“ wurden mit guten Sachen, wie Schinken und Eiern, Likören, Wein und feinem Gebäck bewirtet. Die Kinder wurden beschenkt. Auf dem Lande ging dieser Brauch, abgesehen von kleinen Verschiedenheiten, überall in der gleichen Weise vor sich. Mit klarem Wasser, oft kübelweise, wurden die Mädchen am Ostermontag und am Osterdienstag die Burschen begossen.
Helga Blaschke-Pál
Zur Autorin
Helga Blaschke-Pál wurde 1926 in Kesmark geboren, wo sie auch das Gymnasium besuchte. Daneben studierte sie Musik und Gesang und maturierte nach dem Krieg am Salzburger Humananistischen Gymnasium. Sie brachte zehn eigene Bücher heraus und leitete über 20 Jahre als Präsidentin die Salzburger Schriftstellervereinigung. Helga Blaschke-Pál wurde mit mehreren Lyrikpreisen ausgezeichnet und erhielt 1998 das „Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst“. 2019 starb sie in Salzburg.
(Dieser Text erschien in voller Länge 2020 im Band 3 der ZIPSER TRILOGIE: Oberzipser erzählen. Potoken dazähln, den Ferdinand Klein, Anna Klein-Krušinová und Aranka Stigloher-Liptak 2020 im Verlag ViViT Kesmark herausgaben.)